Die Spindler-Brüder: Über Umwege in die Oberliga

Der TSB Gmünd reist als Außenseiter zum Auftaktspiel beim Drittliga-Absteiger TV Germania Großsachsen. An der Bergstraße kommt es am Samstag (20 Uhr / Sachsenhalle) direkt zum Aufeinandertreffen der Zwillingsbrüder Jan (TSB) und Marcel Spindler (TVG). Beide tippen auf einen 26:23-Sieg - natürlich für ihre Mannschaft.

Vor dem in vielerlei Hinsicht speziellen Saisonstart gönnten sich beide Brüder einen All-Inclusive-Urlaub am Mittelmeer: Jan Spindler weilte bis Mitte der Woche in der Türkei, Marcel auf der Insel Kreta. „Als Zwillinge müssen wir immer alles gleichzeitig machen, sofern die Freundinnen mitmachen“, scherzt TSB-Neuzugang Jan Spindler: „Nun sind wir auf alle Fälle ausgeruht und erholt.“ Diesen Sommer war der 28-Jährige vom Württembergliga-Absteiger TSV Alfdorf/Lorch zu den Gmündern gewechselt. Bei seiner Premiere in der vierten Liga wartet gleich der TV Germania Großsachsen, dem sich Marcel Spindler vor einem Jahr angeschlossen hat. So wird der erste Spieltag für beide zu einer ganz besonderen Angelegenheit.
Wobei der TSB-Spielmacher dieses Thema gar nicht zu hoch hängen will: „Es ist mein erstes Spiel für den neuen Verein, da bin ich ohnehin total motiviert. Ich sehe es als ein Pflichtspiel wie jedes andere auch und am wichtigsten ist es, dass wir als Team die ersten beiden Punkte holen.“ Dennoch sei dieses Bruderduell eine einzigartige Sache. Familie und Freunde aus der Heimat haben sich längst angekündigt, wie Marcel begeistert erzählt: „Einige haben mich sogar schon angerufen und gefragt, ob ich in der Nähe von Großsachsen ein Hotel empfehlen kann.“
Aus der Stimme von beiden Brüdern hört man einen berechtigten Stolz heraus. Bis zur A-Jugend spielten sie gemeinsam für die SG Bettringen, in ihrer ersten Aktivensaison 2013/14 trafen sie schon einmal als Gegner aufeinander. In zwei Landesliga-Partien hatte Jan mit der HSG Winzingen-Wißgoldingen-Donzdorf damals das Nachsehen gegen Marcel und den TSV Alfdorf/Lorch. Erst neun Jahre später ist das Duo in der Oberliga angekommen. Vorgezeichnet war dieser Weg keinesfalls. „Wir haben uns mit vergleichsweise wenig Talent hoch gekämpft“, meint Jan Spindler, für den einzig der Spaß am Handball als großer Anreiz dient.
Der Werdegang von Marcel ist hingegen noch ein Stück spezieller. Vor über drei Jahren zog er mit seiner Freundin in Heidelberg zusammen und schloss sich zunächst dem TSV Birkenau an. Dort stand er im Herbst 2020 bereits dreimal in der Oberliga auf dem Feld, bevor die Runde coronabedingt abgebrochen wurde. Um sich verstärkt auf seine Prüfungen zum Elektromeister konzentrieren zu können, wechselte er in die zweite Mannschaft des TVG Großsachsen. Mit 68 Toren in elf Spielen zählte der Rückraum-Allrounder zu den absoluten Leistungsträgern in der badischen Verbandsliga und half – ausgestattet mit einem Doppelspielrecht – auch noch einige Male bei seinem Jugendverein HSG Bargau/Bettringen aus. „Da er so vielseitig einsetzbar ist, würde Marci in jedem Team eine gute Rolle spielen“, findet Jan.
Marcel ist nicht nur 20 Minuten älter als sein Zwilling, sondern hat ihm bislang auch sportlich etwas voraus: Und zwar einen Einsatz in der 3.Liga. Woran der Rechtshänder allerdings nicht allzu gerne zurückdenkt. Denn mit der 27:44-Niederlage beim TV Kirchzell im Mai war der Abstieg des TVG besiegelt. „Die Mannschaft besitzt so viel Charakter und ist meiner Meinung nach ein fester Bestandteil der 3.Liga, doch durch den verschärften Abstieg hat es uns leider erwischt“, bedauert er diesen Rückschlag. Die Vorbereitung auf die neue Saison begann Marcel erneut in der zweiten Mannschaft, wurde dann aber aufgrund des personellen Engpasses ins Oberliga-Team befördert. „Das kam sehr überraschend für mich“, gesteht er: „Doch es war eine naheliegende Lösung, weil ich das Team gut kenne und mich sehr wohl fühle.“
Der eigene Anspruch ist unmissverständlich: Großsachsen will zurück in die 3.Liga. „Es ist definitiv unser Ziel, oben mitzuspielen“, betont Marcel Spindler, der sich aber auch der Schwierigkeiten in der mit 34 Spieltagen besonders langen Runde bewusst ist: „Um aufzusteigen, muss wirklich alles zusammenpassen. Besonders zuhause wollen wir so viele Punkte holen wie nur möglich. Was gibt es außerdem Schöneres als ein Heimsieg zum Start?“
Die Rollen sind am Samstagabend also klar verteilt. „Wir sind beim Drittliga-Absteiger zu Gast und brauchen nicht darüber nachzudenken, wer Favorit ist“, findet auch Volker Haiser, Co-Trainer des TSB. Für Haiser und Chefcoach Michael Stettner gestaltet sich die Vorbereitung besonders deshalb schwierig, weil es kein aktuelles Videomaterial vom Gegner gibt: „Großsachsen ist eine Unbekannte für uns, deshalb werden wir uns ganz alleine auf unsere Stärken besinnen und dann reagieren.“ Besonders in der Abwehr haben die beiden Übungsleiter beim 41:25-Testspielerfolg gegen Verbandsligist Steinheim am Dienstagabend noch Steigerungspotenzial ausgemacht.
Da kommt es nicht gerade gelegen, dass hinter dem Einsatz von Andreas Maier (Schulterprobleme) mehr als fraglich erscheint. Zudem fehlen Rechtsaußen Wolfgang Bächle, der privat verhindert ist, sowie krankheitsbedingt Tormann Giovanni Gentile. Obwohl Jan Spindler und Kapitän Nicola Rascher aus dem Urlaub zurückgekehrt sind, ist der TSB daher auf personelle Alternativen aus dem Perspektivteam angewiesen. Die Trainer denken da vor allem an die beiden Eigengewächse Louis Waldraff und Vincent Pick, aber auch an Jonas Schwenk. Der A-Jugendliche könnte gemeinsam mit seinem zwölf Jahre älteren Bruder Philipp den Innenblock bilden. „Vielleicht wird das unser Joker“, lässt Haiser durchblicken.
Auf gegnerischer Seite ist jedenfalls viel Respekt vorhanden. „Der TSB hat mit dem Umbruch zwar einige Leistungsträger verloren, kann das Ganze aber durch eine verdammt gute Jugendarbeit kompensieren“, weiß Marcel Spindler. Er traut es den Gmündern sogar zu, den fünften Tabellenplatz aus der Vorsaison zu wiederholen: „Man darf sicherlich nicht zu viel erwarten, aber sie haben eine sehr gute Teamchemie und deshalb würde mich das auch für Jan sehr freuen.“ Zunächst aber wird die Bruderliebe für 60 Minuten vergessen sein. Marcel erwartet ein offenes Spiel und prognostiziert: Wir wollen zunächst einmal eine gute Abwehr stellen, deshalb hoffe ich auf einen 26:23-Heimsieg.“
Diesen Tipp muss Jan Spindler natürlich umgehend kontern. „Wir gewinnen natürlich mit 26:23“, grinst er. Die Ansicht, dass sein Team als Außenseiter an die Bergstraße fährt, teilt er nicht: „Das ist in der Oberliga unberechenbar und am ersten Spieltag ist immer alles drin.“ Denn noch weiß niemand so recht, wo er steht. Das könnte die Chance für den TSB sein, gleich zum Start für eine dicke Überraschung in fremder Halle zu sorgen. „Die Chancen stehen Fünfzig-Fünfzig“, sagt Jan Spindler: „Ich bin guter Dinge, dass wir dieses Spiel zu unseren Gunsten drehen können.“
TSB: Daniel Mühleisen, Frederik Füchtner – Nicola Rascher, Tom Abt, Moritz Werner, Andreas Maier (?), Jan Spindler, Jonas Schwenk, Philipp Schwenk, Louis Waldraff, Vincent Pick, Eric Zimmermann, Stephan Mühleisen, Jonas Waldenmaier, Florian Krazer
Bisherige Duelle (aus TSB-Sicht): Noch nie in Pflichtspielen aufeinandergetroffen

(Text: Nico Schoch - Bilder: Enrico Immer (5), Nico Schoch (3), TV Germania Großsachsen (2), Rems-Zeitung (1))