Charaktertest bestanden: TSB verdient sich das Last Minute-Glück

Mit einer starken Kollektivleistung verdient sich der TSB Gmünd die ersten Auswärtspunkte. Durch ein Kontertor von Wolfgang Bächle 26 Sekunden vor Schluss setzen sich die personell geschwächten "Jets" mit 30:29 (16:14) bei der zuvor ungeschlagenen HSG Konstanz II durch.


Aufregende und teils hektische 60 Minuten waren gerade erst vorüber, da brachte es Daniel Mühleisen auf den Punkt: "Irgendwann ist immer das erste Mal. Je länger eine gegnerische Serie dauert, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie reißt." Der stark aufgelegte Torwart hatte großen Anteil daran, dass der TSB nicht nur seine dürftige Auswärtsbilanz in badischen Hallen aufpoliert, sondern auch erstmals in Konstanz gewonnen und dem vorherigen Tabellenführer damit die erste Niederlage zugefügt hat. In den Schlussminuten hätten sich die Gmünder diesen bedeutenden Erfolg beinahe noch aus der Hand reißen lassen, verdient war er aber allemal. Das fand sogar HSG-Coach Benjamin Schweda: "Ein Punkt wäre für uns möglich gewesen und wir hätten diesen auch gerne mitgenommen. Doch das kleine Quäntchen, was uns gefehlt hat, lag bei Gmünd."
Der TSB trotzte am Bodensee allein Widrigkeiten: Einer schwierigen Trainingswoche, der weiten Anreise, einem ausgedünnten Kader und einer zweifelhaften Roten Karte gegen den A-Jugendlichen Jonas Schwenk, der kurzfristig ins Team gerückt war – dazu später mehr. Zunächst hatten die Gäste schwierige Anfangsminuten zu überstehen. Die Talentschmiede des Zweitligisten legte nach vier Minuten bereits ein 4:1 vor und der TSB hatte Schwierigkeiten, sich an das hohe Tempo zu gewöhnen. Das gelang mit zunehmender Spieldauer immer besser, auch weil der Gmünder Matchplan trotz des Fehlens von Jan Spindler seine Wirkung entfaltete. "Wir wollten kompakt stehen und keinem Gegenspieler den Platz geben, um ins Eins-Gegen-Eins zu gehen", erklärte Trainer Michael Stettner. Gegen das Abwehrbollwerk fand Konstanz kaum ein Durchkommen und bekanntermaßen liebt auch der TSB das schnelle Spiel nach vorne. Zwei Ballgewinne sorgten für die Wende: Zuerst traf Keeper Daniel Mühleisen, nur 40 Sekunden später Tom Abt zum 6:5 (13.) ins leerstehende HSG-Gehäuse.
Der TSB hielt das Tempo hoch. Der nach seiner Schulterverletzung wieder voll einsatzfähige Andreas Maier aus dem Rückraum sowie Linksaußen Eric Zimmermann per Tempo-Gegenstoß erhöhten auf 8:5 (15.), so dass sich die Gastgeber zu ihrer ersten Auszeit gezwungen sahen. Die HSG tastete sich heran und wurde mit dem 10:10-Ausgleich (20.) durch den starken Rechtsaußen Felix Fehrenbach belohnt. Tom Abt, gegen dessen flinken Bewegungen Konstanz kaum ein Mittel fand, warf die Gmünder aber umgehend wieder in Front. Der TSB leistete sich nun kaum noch technische Fehler und bändigte den agilen Gegner mit einem ruhigen Spielaufbau. "Gleichzeitig haben wir immer wieder Stopp-Fouls gesetzt und damit den Spielfluss unterbrochen", lobte Stettner. Selbst eine doppelte Unterzahlsituation überstanden die Jets schadlos und nahmen eine verdiente, wenn auch denkbar knappe 16:14-Führung mit in die Pause.
"Ich habe in der Halbzeit kurz daran gedacht, wie es im letzten Jahr lief", gestand Daniel Mühleisen später. Damals hatte der TSB trotz einer zwischenzeitlichen Sechs Tore-Führung die Heimreise mit leeren Händen antreten müssen. Doch die Nerven der mitgereisten Gmünder Fans konnte nach Wiederanpfiff zunächst beruhigt werden. Zwar konnte die HSG beim 17:17 (35.) rasch gleichziehen, doch Jonas Waldenmaier und Zimmermann stellten sofort wieder den alten Abstand her. Dann musste der TSB allerdings einen herben Rückschlag verkraften: Youngster Jonas Schwenk stand gerade erst wenige Minuten auf dem Feld, als er nach einem gegnerischen Freiwurf Fehrenbach zu Fall brachte und mit der Roten Karte auf die Tribüne verbannt wurde (40.) – eine zumindest zweifelhafte Entscheidung des badischen Schiedsrichtergespanns. Stettners Plan, die Stammkräfte im Rückraum zu entlasten, war dahin. "Ich wollte den Jungs eigentlich Kraftreserven für die Schlussphase verschaffen, somit wurde dieses Spiel umso mehr zum Charaktertest", meinte der Coach.
Diesen Charaktertest aber bestanden die Jets mit Bravour, denn sie machten selbst in Unterzahl unbeirrt weiter. Kapitän Nicola Rascher sorgte mit einem Doppelschlag für den zumindest vorübergehend beruhigenden 23:19-Vorsprung (44.). Die Bundesliga-Reserve ließ sich allerdings nicht abschütteln und fand mit drei Toren in Folge zurück ins Spiel. "Dass bei diesem Tempo irgendwann technische Fehler oder Fehlpässe vorkommen, ist nur normal", befand Stettner und verweis außerdem darauf, dass seinen Mannen in der zweiten Halbzeit nur noch drei Gegenstoßtore gelangen – im ersten Durchgang waren es neun gewesen. Die Gmünder stellten jedoch immer wieder ihren eisernen Willen unter Beweis. Allen voran den energischen Offensivaktionen von Abt und Maier war es zu verdanken, dass der TSB bis zum 26:23 (49.) klar im Vorteil blieb. Und wenn das Duo nur mit unfairen Mitteln ausgebremst werden konnte, dann war Rascher zur Stelle, der nervenstark alle sieben Strafwürfe verwandelte. "Wenn ich ehrlich bin, war die Luft schon nach 15 Minuten weg", erklärte Maier später mit einem Lachen im Gesicht: "Aber da kommt dann einfach uner brutaler Ehrgeiz ins Spiel. Man beißt sich einfach durch und selbst wenn etwas weh tut, wollen wir einfach nur gewinnen."
Als Sven Iberl einen Konter zum 26:26 (52.) nutzte, stand die Partie dann wieder auf des Messers Schneide. Doch im Duell mit seinem ebenfalls gut aufgelegten Kontrahenten Konstantin Pauli setzte schließlich Daniel Mühleisen die entscheidenden Akzente: Der TSB-Rückhalt entschärfte einen Siebenmeterwurf von Fehrenbach glänzend und verhinderte damit dem Rückstand, kurz darauf fing er einen Lupfer des Konstanzer Rechtsaußens lässig ab. Auf der Gegenseite ließen Maier und Abt den TSB abermals über die Führung jubeln, bevor die HSG beim 29:29 (58.) wieder gleichzog. In der Schlussminute stand den Gmündern auch das nötige Glück zur Seite: Fehrenbach scheiterte mit einem Kempa-Trick am Pfosten, Rascher schaltete am schnellsten und schickte Rechtsaußen Wolfgang Bächle in den Tempo-Gegenstoß. "In diesem Moment hatte ich beinahe einen Herzstillstand", bemerkt Stettner. HSG-Tormann Pauli kam zwar noch mit den Fingerspitzen an Bächles Wurf heran, doch der Ball zappelte im Netz. Weitere 26 Sekunden dauerte das Zittern auf der Gästebank an, doch mehr als ein Freiwurf sprang für die HSG nicht mehr heraus. Fehrenbach feuerte die Kugel knapp über den Kasten, dann begann der Gmünder Jubelsturm auf Matchwinner Daniel Mühleisen.
"Zur richtigen Zeit hat er nochmals ein paar Prozent herausgekitzelt und wirklich wichtige Bälle weggenommen", so zollte der Trainer seinem Torwart größte Anerkennung. Allerdings tat sich Stettner auch schwer damit, einen Einzelnen hervorzuheben: "Es war ein Sieg des Kollektivs. Stephan Mühleisen hat in der Abwehr geackert, Nico Rascher ist beim Siebenmeter extrem cool geblieben und auch Andi Maier hat ein super Spiel gemacht. Eigentlich könnte ich die ganze Mannschaft aufzählen."

Die ersten Auswärtspunkte haben jedenfalls das Selbstvertrauen weiter gestärkt. Dennoch warnt Stettner vor dem kommenden Heimspiel am Samstag (19:30 Uhr / Große Sporthalle) gegen Drittliga-Absteiger TSG Söflingen ganz bewusst: "Wenn wir jetzt denken, dass uns alles von alleine zufliegt, dann sind wir komplett auf dem Holzweg."
Doch spätestens nach dem magischen Abend in Konstanz weiß die ganze Liga: Mit dem TSB ist auch nach dem großen Umbruch im Sommer zu rechnen – egal welche Widrigkeiten auch noch auf die Stettner-Jungs zukommen mögen.
HSG II: Konstantin Pauli, Jason Moses – Felix Fehrenbach (9/1), Pascal Mack (7), Gianluca Herbel (4/3), Sven Iberl (4), Jonas Hadlich (2), Quirin Köble (1), Nico Koch (1), Fynn Osann (1), Mika Komin, Jens Koester, Leon Ulmer, Marius Dreher, Marcel Heitvogt, David Soos
TSB: Daniel Mühleisen (1), Giovanni Gentile (n.e.) – Nicola Rascher (8/7), Andreas Maier (6), Tom Abt (6), Wolfgang Bächle (3), Eric Zimmermann (3), Jonas Waldenmaier (2), Stephan Mühleisen (1), Moritz Werner, Jonas Schwenk, Louis Waldraff (n.e.)
Siebenmeter: HSG 5/4 – TSB 7/7
Zeitstrafen: HSG 6 Minuten – TSB 8 Minuten
Rote Karte: Jonas Schwenk (TSB/40./grobes Foulspiel)
Schiedsrichter: Sascha Oestringer, Arno Kolbach (ASG St.Leon/Reilingen/Horan)
Zuschauer: 150
 
"Unser Teamgeist hat den Ausschlag gegeben" – Stimmen zum Spiel
Das Lob, der Matchwinner gewesen zu sein, schüttelte Tormann Daniel Mühleisen nach dem 30:29-Auswärtssieg in Konstanz ganz bescheiden ab – tatsächlich hatten sich mehrere Akteure des TSB Gmünd diese Auszeichnung verdient. Auch die sechsfachen Torschützen Tom Abt und Andreas Maier hoben das starke Kollektiv hervor.
Michael Stettner, TSB-Trainer: "Natürlich haben wir zum Schluss das nötige Glück, doch dieses Glück haben wir auch ein Stück weit erzwungen. Wir haben es über fast 60 Minuten geschafft, unser volles Potenzial abzurufen. Wenn ich auf den dünnen Kader schaue und wie kräftezehrend dieses Spiel war, dann war das fast schon das Maximum. Da bin ich wahnsinnig stolz drauf, vor allem unter diesen schwierigen Vorzeichen. Es war klar, dass es nur über die Einstellung funktionieren würde. Die Jungs haben ihren großen Charakter gezeigt und taktisch genau das umgesetzt, was wir vorgegeben haben. Sie haben ihr Herz auf dem Platz gelassen und verdient diese zwei Punkte geholt. Nur wenn wir uns bis zum Schluss zerreißen, sind wir stark und das ist der Grund, warum wir gewonnen haben."
 
Benjamin Schweda, HSG-Trainer: "Der Sieg hätte in beide Richtungen gehen können. Dass er am Ende nach Gmünd geht, ist vollkommen okay. Wir sind an einem wirklich guten Gegner gescheitert, denn der TSB hat sich hervorragend auf unsere Stärken einstellt. Unser Tempospiel und unsere Qualität im Eins-Gegen-Eins ist nur am Anfang zur Geltung gekommen. Wir haben danach keine anderen Möglichkeiten gefunden als Akzente über Außen zu setzen. Wir waren dann zum Schluss wieder dran, vergeben dann aber den Siebenmeter und den Kempa-Trick. Das waren die zwei entscheidenden Szenen."
Andreas Maier, TSB-Rückraumspieler: "Unser Teamgeist hat den Ausschlag gegeben, wir haben einen enormen Willen gezeigt. Wenn in der Abwehr einer seinen Zweikampf verloren hat, dann stand schon der nächste da und hat geholfen. Defensiv haben wir es dem Gegner mit vielen Fouls sehr schwer gemacht und so auch das Spiel gewonnen. Wir waren fast über die gesamten 60 Minuten die bessere Mannschaft, nur waren wir kurzzeitig etwas zu überhastet. Nur durch unsere Fehler ist Konstanz wieder zurück gekommen. Zum Schluss retten wir den Sieg über die Ziellinie, doch wir haben uns diesen auch einfach verdient."
Wolfgang Bächle, TSB-Siegtorschütze: "Als der Torwart an meinem letzten Wurf noch kurz dran war und der Ball dann ganz langsam reinkullerte, ist mir das Herz kurz stehen geblieben. Denn sonst kann das Spiel auch noch ganz anders ausgehen. Dieses Glück haben wir uns aber auch verdient. Den Start haben wir zwar verschlafen, aber nach zehn Minuten waren wir dann voll da. Doch wir hatten immer im Hinterkopf, dass wir noch nie in Konstanz gewonnen haben. Auch als wir mit vier Toren geführt haben, wussten wir, dass es noch lange nicht vorbei ist. Nach dem Abpfiff verspürten wir einfach ein pures Glücksgefühl. Wir sind in der Lage, jeden Gegner zu ärgern. Aber die Saison ist noch zu lange, um jetzt schon Schlüsse zu ziehen. Wenn wir kämpferisch so weiter machen, dann ist aber vieles möglich."
Daniel Mühleisen, TSB-Tormann: "Da wir bis auf die ersten zehn Minuten immer vorne lagen, waren wir am Ende verdient das eine Tor besser. Ich bin froh, dass ich in endlich mal wieder gut gehalten habe, denn mit meiner Leistung in den ersten beiden Spielen war ich überhaupt nicht zufrieden. Da unsere Abwehr gut stand und wir als Mannschaft gekämpft haben, war es aber auch ein dankbares Spiel für einen Torhüter. Schon in der vergangenen Saison haben wir bewiesen, dass jeder Einzelne noch einmal eine bessere Leistung bringt, wenn wir personell geschwächt sind."
 
Tom Abt, TSB-Spielmacher: "Es ist der erste Sieg für uns in Konstanz und der fühlt sich richtig, richtig gut an. Mit einer starken Teamleistung haben wir die Ausfälle kompensiert. Jeder Handballspieler freut sich auf die entscheidenden Minuten, in der man seinem Team unbedingt helfen will und jede Abwehraktion feiert. Von der Bank kamen viele positive Emotionen, das gibt natürlich Kraft. Wir waren in einem Flow und am Ende hat das gereicht, um den einen Schritt mehr zu laufen. Mit dem etwas glücklicheren Händchen waren wir deshalb die verdienten Sieger."
(Text und Bilder: Nico Schoch)