Der stille Abschied des doppelten Aufstiegshelden

Das erste Jahr nach der Oberliga-Rückkehr ist passé, schon hat der TSB Gmünd den nächsten personellen Umbruch zu bewältigen. Gleich fünf Spieler gehen von Bord, zwei davon hängen aus gesundheitlichen Gründen ihre Handballschuhe vorerst an den Nagel und Talent Yannik Leichs sucht seine Chance beim Drittligisten TV Plochingen. Unklar bleibt die Zukunft von Dominik Sos. Nach insgesamt fünf Spielzeiten, gekrönt vom zweimaligen Aufstieg in die Viertklassigkeit, verlässt der Publikumsliebling den TSB.

Der 29.Mai 2014 war ein Tag für die Geschichtsbücher des TSB Gmünd: Im finalen Relegationsspiel hatten sich die Blau-Gelben mit 24:20 gegen Hockenheim durchgesetzt und zogen unter großem Jubel erstmals in die Oberliga Baden-Württemberg ein. Jene Abwehrschlacht vor 1500 Zuschauern in der Großen Sporthalle und der anschließende Feiermarathon bleiben unvergessen, auch für einen damals erst 20-Jährigen am Ende seiner ersten Aktivensaison. „Das war mit Sicherheit das größte Spiel meines Lebens“, blickt Dominik Sos zurück, „unsere Trainer Michael und Andreas Hieber hatten im Vorfeld ein Video zusammengeschnitten, dass wir uns direkt vor dem Spiel auf Leinwand in der Kabine angesehen haben. Mit purer Gänsehaut sind wir dann in die volle Halle eingelaufen. Solche Momente prägen sich ein.“
 
Sechs Jahre später schließt sich für Sos das Kapitel TSB – dieses Mal wohl endgültig. Nach seiner A-Jugendzeit bei Frisch Auf Göppingen hatte der linke Rückraumspieler mit seiner Übersicht und Wurfgewalt auch in Gmünd auf Anhieb zu überzeugen gewusst. Bei den „Jets“ prägte der 1,93 Meter große Modell-Athlet eine kleine Ära, war sowohl 2014 als auch 2019 maßgeblich am Aufstieg in die Oberliga beteiligt. Auf starke 668/188 Treffer in 120 Ligapartien brachte es der Rechtshänder, der nach einem kurzen Intermezzo beim TSV Alfdorf/Lorch (2015-17) zum TSB zurückgekehrt war. Was bleibt, seien vor allem zahlreiche Freundschaften, die weit über den Sport hinausgehen. Mit seinen früheren Teamkollegen Djibril M´Bengue (heute FC Porto) und Max Häfner (TVB Stuttgart) stehe er nahezu täglich im Kontakt, erzählt Sos. „Auch die Unterstützung der Zuschauer war immer außergewöhnlich“, so der 26-Jährige, „in der Relegation hatten wir damals sogar auswärts mehr Fans hinter uns als die Gegner.“
Es ist ein Abschied, der weder Verein noch Spieler leicht fällt, sich in den vergangenen Monaten allerdings abgezeichnet hatte. Berufsbedingt war Sos deutschlandweit unterwegs, verpasste somit den Großteil der Trainingseinheiten – es ist die Krux eines (talentierten) Amateurhandballers. Dennoch suchte er an den Wochenenden „auf eigene Faust“ den Weg nach Gmünd, um die ohnehin ersatzgeschwächte Mannschaft im Abstiegskampf zu unterstützen. „In den früheren Jahren waren wir bekannt für Heimstärke und dass wir die Gegner oft bei 24 Gegentoren gehalten haben“, resümiert Sos, „doch aufgrund unserer Abstimmungsprobleme in der Abwehr sind wir nie wirklich in einen Rush gekommen.“
 
Auch persönlich durchlebte er mit lediglich neun Einsätzen (14 Tore) ein alles andere als zufriedenstellendes Jahr: „Zwischen Dezember und Februar stand ich voll im Saft und habe kein Training verpasst, doch muss ehrlich zugeben, dass ich mir mehr Einsatzzeiten erhofft hatte.“ Als er am 1.Februar im Heimspiel gegen den TV Bittenfeld II (23:26) drei Treffer beisteuerte, konnte niemand wissen, dass es die Abschiedsvorstellung des zweimaligen Aufstiegshelden gewesen sein sollte. Knapp einen Monat später läutete die Corona-Pandemie das verfrühte Saisonende ein. Der Klassenerhalt am grünen Tisch bescherte Sos immerhin einen versöhnlichen, wenn auch stillen Abgang.
Wie es für Sos nun handballerisch weitergeht? „Ich weiß es selbst noch nicht so recht“, erklärt der Rückraumspieler und berichtet von ersten Gesprächen mit anderen Vereinen. Denn für ihn ist klar: „Mit 26 Jahren denke ich noch lange nicht ans Karriereende. Wo die Reise hingeht, ist immer abhängig davon, inwieweit meine Verpflichtungen im Job akzeptiert werden.“ Die Lust auf eine neue Herausforderung sei jedenfalls vorhanden.
 
Für Thomas Grau und Tim Albrecht hingegen steht fest: Die beiden Pechvögel des abgelaufenen Jahres werden die Halle künftig wohl nur noch als Zuschauer betreten. Besonders Grau, vergangenen Sommer vom Ligakonkurrenten TSV Zizishausen nach Gmünd gekommen, hatte sich von Beginn an als Teamplayer und mit seiner körperlichen Präsenz in der Abwehr unverzichtbar gemacht. Umso tragischer, dass Knieprobleme den erfahrenen Akteur lange Zeit außer Gefecht setzten und er so nur 15 Partien (37 Tore) für den TSB absolvieren konnte. Die anhaltende Überbelastung im Knie macht eine Operation nun unausweichlich, konservative Heilungsmethoden schlugen fehl. „Ich habe es lange genug versucht, doch es hat keinen Wert mehr“, ist ihm der Frust über das vorläufige Ende seiner Laufbahn deutlich anzuhören: „Es hat sich leider immer mehr abgezeichnet, dass ich nicht mehr laufen und rennen konnte wie gewollt und bei jedem Sprung Schmerzen verspürt habe. Wenn die Nachwirkungen am Tag nach dem Spiel derart schlimm auf den Alltag übergreifen, dann muss man die Reißleine ziehen. “
Viel Wehmut schwingt bei seiner Entscheidung mit, denn immerhin hatte sich der in Gmünd arbeitende Grau bewusst für den TSB entschieden und wollte längerfristig bleiben. „Es ist für mich persönlich sehr enttäuschend, dass ich der Mannschaft nicht in der Art und Weise weiterhelfen konnte, wie ich es mir vorgestellt hatte“, resümiert der 28-Jährige. Das Oberliga-Duell beim Ex-Verein Zizishausen blieb somit nicht nur das letzte Saisonspiel vor der Corona-Zwangspause, sondern auch Graus letzter Auftritt: „Die Brisanz im Abstiegskampf war spürbar und wir haben einen wichtigen Sieg geholt, doch eine Woche später war alles wieder hinfällig.“ Ende Juni wird er sich in der Klinik Markgröningen der längst überfälligen Operation am Knie unterziehen. Die Reha wird mindestens ein halbes Jahr in Anspruch nehmen. „Ob und wann mich doch noch einmal die Lust packt, Handball zu spielen, kann ich absolut nicht sagen“, so Grau.
Eine Leidenszeit hat auch Tim Albrecht zu bewältigen. Dem Württembergliga-Torschützenkönig von 2018 und Neuzugang aus Wolfschlugen machten anhaltende Schulterprobleme zu schaffen, so dass er es im TSB-Dress lediglich auf Kurzeinsätze mit sieben Toren brachte. „Für mich war es ein Angriffsversuch, nochmals in einer höheren Liga durchzustarten“, sagt der 24-Jahre alte Linkshänder, „doch meine Schulter macht das hohe Trainingspensum nicht mehr mit.“ Jetzt wird er erst einmal pausieren. Eine Hintertür allerdings lässt sich der in der Gmünder Innenstadt wohnhafte Albrecht bewusst offen: „Ich denke schon, dass ich bei Gelegenheit mit der Zweiten Mannschaft trainieren und vielleicht auch spielen werde.“ Was ihm niemand mehr nehmen kann, seien die Erfahrungen auf dem hohen Niveau in der BWOL. „Und das hat mit dieser tollen Truppe wirklich immer Spaß gemacht“, unterstreicht Albrecht, auch wenn seine eigene Bilanz nicht berauschend gewesen sei: „Wenn ich hereingekommen bin, war ich meist schnell wieder verletzt oder habe einmal die Rote Karte gesehen.“ Symbolisch dafür: Auswärts beim HC Neuenbürg (29:32) kurz vor Weihnachten habe er ein gutes Gefühl gehabt und schnell zwei Tore erzielt. „Doch beim dritten Wurf bin ich auf die Schulter geknallt“, erinnert sich Albrecht, „dann war es vorbei.“
Die Niederlage beim badischen Mitaufsteiger war ebenso für Max Dangelmaier eine Art Schlüsselspiel. „Obwohl wir verloren haben, denke ich positiv daran zurück, da das Zusammenspiel mit unserem ersatzgeschwächten und extrem jungen Rückraum richtig Laune gemacht hat“, blickt der Linksaußen zurück, „doch leider sind wir danach wieder viel zu oft in alte Muster verfallen. Wir haben viel zu selten über 60 Minuten eine konstante Leistung aufs Feld gebracht.“ Bereits Ende Februar wurde seine Rückkehr zur SG Lauterstein verkündet. Trotz der sportlichen Durststrecke zeigt er sich dankbar für die kurze Zeit in Gmünd, immerhin gelang ihm nach zweijähriger Verletzungspause das lang ersehnte Comeback. „Ich habe dem TSB viel zu verdanken“, sagt der 25-Jährige und meint damit vor allem den neu entstandenen Kontakt zu Christof Elser. Der Athletiktrainer und Personal Coach unterstützte Dangelmaier bei seiner Reha und der Linksaußen ist sich sicher, „dass das ohne ihn niemals so super gelaufen wäre.“ Beide trainieren auch weiterhin wöchentlich miteinander.
Auch die Ausbeute von 34/3 Toren aus 15 Spielen lässt sich durchaus sehen, doch sein Comeback fiel in eine schwierige Situation. Trainerwechsel, Niederlagenserie, Gegentorflut – das alles kostete Kraft und Nerven. Darüber hinaus kam Dangelmaier auch die Gmünder Spielweise nicht unbedingt entgegen. Während beim TSB meist der Rückraum um Top-Torjäger Aaron Fröhlich in der Verantwortung steht, seien in Lauterstein die allermeisten Angriffe über die Flügel gelaufen. Inbesondere das harmonische Zusammenspiel mit Jochen Nägele auf Rechtsaußen habe er vermisst, was der Hauptgrund für den Schritt zurück zur SGL sei. Dort strebt er nun eine Klasse tiefer, in der neu gebildeten Württemberg-Oberliga, eine Spitzenposition an: „Ich denke, ich spreche für die gesamte Mannschaft, wenn ich sage, dass wir nicht nur die Klasse halten, sondern nach oben schauen wollen. Der Aufstieg in die BWOL wäre das Sahnehäubchen, kann aber nicht unbedingt das Ziel für unsere junge Mannschaft sein.“
Die Entwicklung beim TSB und seinen bisherigen Mitspielern wird Dangelmaier selbstverständlich im Auge behalten. „Mit den Neuzugängen Marian und Nicola Rascher wird der TSB mehr Variabilität bekommen“, ist Dangelmaier überzeugt, „doch in einer Oberliga mit 18 Mannschaften, aus der fast die Hälfte absteigen muss, liegt ein hartes Stück Arbeit vor dem TSB.“ Thomas Grau pflichtet ihm da bei: „Primär muss es das Ziel sein, sich von den hinteren Tabellenplätzen abzusetzen und möglichst frühzeitig den Klassenerhalt zu schaffen, alles andere wäre vermessen. Der TSB hat aber auch viele junge und hungrige Spieler in seinen Reihen, mit denen alles möglich ist.“
 
Der TSB bedankt sich für den Einsatz aller vier Spieler – ebenso wie auch bei Eigengewächs Yannik Leichs (siehe Extra-Interview) – und wünscht für die Zukunft alles Gute und ganz besonders viel Gesundheit. Wir freuen und schon jetzt auf ein Wiedersehen in der Halle!

Bilderstrecke: Die Laufbahn von Dominik Sos

Saison 2012/13: Mit Frisch Auf Göppingen II findet der damalige A-Jugendliche im Württembergliga-Duell mit dem TSB um Christian Waibel kaum ein Durchkommen.

Saison 2013/14: Nach seinem Wechsel zum TSB schwingt sich der Rückraumspieler sofort zu einem Top-Torschützen auf.

Saison 2013/14: 180 Treffer steuert der damals erst 20-Jährige bei, so dass der TSB in die Aufstiegsrelegation einzieht und im HVW-Pokal-Halbfinale (hier im Bild) nur knapp an Oberligist Söflingen scheitert.

Saison 2013/14: Nach dem Sieg im Relegationsspiel bei der SG Bottwartal schreit Sos seine Freude heraus - die nächste Hürde war genommen!

Saison 2013/14: Gemeinsam mit Hausmeister und Freund Peter Künstler (links) stößt Sos auf den Oberliga-Aufstieg an.

Saison 2013/14: Auch beim Feiern geben Sos&Co. Vollgas. BWOL, wir kommen!

Saison 2014/15: Beim ersten Spiel in der Viertklassigkeit lassen die Gmünder dem Mitaufsteiger aus Deizisau nicht den Hauch einer Chance.

Saison 2014/15: Die beiden Youngster Wolfgang Bächle und Dominik Sos haben vor allem in eigener Halle oftmals Grund zum Jubeln. Neun Heimsiege sind der Grundstein zum Klassenerhalt.

Saison 2014/15: Auch gegen Wangen behalten die Gmünder die Oberhand und sichern sich frühzeitig den Klassenerhalt.

Saisons 2015/16 und 2016/17: Zwei Jahre lang geht Sos für den TSV Alfdorf/Lorch auf Torejagd. Mit seinem Stammverein feiert der Lorcher den Aufstieg in die Württembergliga.

Saison 2017/18: Nach der Rückkehr ins TSB-Trikot muss Sos sofort Verantwortung übernehmen, da Spielmacher Aaron Fröhlich für die gesamte Hinrunde verletzt ausfällt.

Saison 2017/18: Beim Überraschungssieg gegen die ambitionierten Herrenberg glänzen Sos und seine Teamkollegen. Dennoch muss der TSB am Ende den bitteren Gang zurück in die Württembergliga antreten.

Saison 2018/19: In der Württembergliga Süd sind der TSB und Dominik Sos von Beginn an obenauf.

Saison 2018/19: Bereits am drittletzten Spieltag freuen sich Sos und Kapitän Sebastian Fabian (l.) über die Meisterschaft und den direkten Wiederaufstieg.

Saison 2019/20: Zurück in der BWOL, haben die Gmünder von Beginn an einen schweren Stand und stecken tief im Abstiegskampf.

Saison 2019/20: Auf lediglich neun Einsätze (14 Tore) schafft es Sos in seiner letzten Saison für den TSB. Sein Abschied verläuft nahezu unbemerkt, da die Corona-Pandemie den vorzeitigen Saisonabbruch herbeiführt.

(Text: Nico Schoch – Bilder: Mario Klaiber, Jörg Frenze)