An Kai Häfner lag es sicherlich nicht, dass die Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten für die deutsche Nationalmannschaft bereits nach der Hauptrunde beendet war. Der einstige TSBler übernahm Verantwortung und spielte zudem die meisten deutschen Assists. Am Ende überwog dennoch die Enttäuschung. Zählt der deutsche Handball nach Rang 12 bei der WM wirklich noch zur Weltspitze? Dieser Frage stellte sich der 99-fache Nationalspieler im Gespräch im Nico Schoch und blickte zugleich voraus auf die kommenden großen Ziele: Mit der MT Melsungen in den Europapokal einzuziehen und im Sommer mit der DHB-Auswahl ein zweites Mal nach 2016 zu den Olympischen Spielen zu fahren.
Hallo Kai, die wichtigste Frage vorab: Wie geht es Dir?
Häfner: Soweit passt alles, ich bin gesund und der Alltag hat mich wieder. Nach fünf freien Tagen ging es am Montag mit dem ersten Training in Melsungen wieder los. Leider hatten wir nach unserer Ankunft einen Corona-Fall im Nationalteam (Johannes Golla von der SG Flensburg, Anm. d. Red.). Alle anderen Tests waren negativ und ich hoffe, dass es dabei bleibt.
Wie tief sitzt noch der Frust nach dem frühen Ausscheiden bei der WM?
Wenn man die Finalspiele vom Sofa aus verfolgen muss, kommt das natürlich noch einmal hoch. Schließlich wäre man selbst gerne eine Woche länger in Ägypten geblieben. In zwei engen Spielen ist es uns leider nicht gelungen, eine Führung über die Zeit zu bringen und so waren es Kleinigkeiten, die uns gefehlt haben.
War Dein siebtes großes Turnier im Rückblick gleichzeitig das enttäuschendste?
Nein, das war eher die WM 2017 in Frankreich. Im Jahr davor haben wir die EM gewonnen und Olympia-Bronze geholt, wir waren richtig gut drauf und haben überraschenderweise das Achtelfinale gegen Katar verloren. Da war sehr viel mehr drin. Dieses Jahr war es auch extrem bitter, aber damals waren die Voraussetzungen besser.
War es die richtige Entscheidung, die WM trotz der besonderen Umstände auszutragen?
Die Ägypter haben alles unternommen, was möglich war. Natürlich handelt es sich „nur“ um Handball, aber letztendlich auch um unseren Job. Die Clubs und Verbände kämpfen ums Überleben, da ist so ein Turnier immens wichtig. Wie es dann durchgezogen wurde, war wirklich professionell.
Hast Du dir einmal ernsthaft Sorgen um deine eigene Gesundheit gemacht?
Anfangs war der Gedanke da, ob alles geregelt weitergeht oder das Turnier vielleicht abgebrochen wird, wenn sich Spieler untereinander infizieren sollten. Doch nach einer Woche hat sich das alles wieder gelegt. Wir wurden jeden Tag getestet und so hat man sich wirklich sehr sicher gefühlt.
Wie hast Du die Situation in Ägypten erlebt?
Ehrlich gesagt haben wir fast gar nichts mitbekommen. Wir waren total abgeschirmt, hatten keinen Kontakt nach außen. Aus dem Flieger heraus sind wir noch auf dem Rollfeld in den Bus gestiegen und dann ins Hotel gefahren, das wir außer zum Training und zu den Spielen nie verlassen haben. Der Bus ist dann sogar bis in die Halle hinein gefahren. Beim ersten Hotel hatten wir das Glück, vom Frühstückstisch aus direkt auf die Pyramiden von Gizeh zu blicken. Ansonsten haben wir nichts vom Land gesehen, nur Halle und Hotel.
Wie haben Ihr euch als Team die viele Freizeit im Teamhotel vertrieben?
Beim Tischtennis war ich zum Schluss sozusagen amtierender Meister (schmunzelt). Beim Darts hingegen gewinne ich keinen Blumentopf, da sind andere deutlich öfter und besser am Board.
Es kursiert das Gerücht, Torwart Silvio Heinevetter hätte eine Wette gegen Dich verloren und musste sich deshalb seinen Bart abrasieren.
(lacht) Das stimmt nicht ganz. Er war sogar auf meiner Seite. Wir sind immer eine knappe Stunde bis zum Training gefahren und haben dabei mit mehreren Leuten ein Handy-Golfspiel gezockt. Zwischen David Schmidt und mir ging es dabei immer sehr eng zu. Eng in der Hinsicht, dass wir beide überhaupt nicht gut waren. Am vorletzten Abend ist daraus eine kleine Wette entstanden, alle Spieler mussten sich für eine Seite entscheiden. Ich habe das Spiel dann verloren und deshalb musste sich Heine einen Schnauzer stehen lassen.
Durch zahlreiche Bilder sicher belegt ist aber, dass Heinevetter im Teamhotel mehrere Mitspieler frisierte. Lässt du dir bald auch von ihm die Haare schneiden?
Das hat er wirklich gut gemacht. Wenn der Lockdown bei uns noch weiter anhält, muss ich vielleicht demnächst einen Termin beim Salon Heinevetter ausmachen.
Zurück zum Sportlichen: War die Mannschaft wirklich so weit entfernt von der Weltspitze, wie es Platz 12 aussagt, oder haben doch nur Nuancen zum Weiterkommen gefehlt?
Hättest du mich in der 45.Minute gegen Spanien gefragt, hätte ich gesagt, dass wir ziemlich nah dran sind an der Spitze. Im Endeffekt haben wir es aber doch nicht ins Viertelfinale geschafft, daher sind es gemischte Gefühle. In den entscheidenden Momenten hat uns die Cleverness gefehlt.
Muss man sich nach der schlechtesten Platzierung der Verbandsgeschichte Sorgen um den deutschen Handball machen?
Nein, das denke ich nicht. Genügend Potenzial ist vorhanden und die einzelnen Auftritte machen uns Mut. Wir können das ganz gut einschätzen und wissen was wir noch tun müssen, um endlich wieder um die Medaillen mitzuspielen.
Nehmen wir einmal die Finalisten Schweden und Dänemark als Vorbild: Was genau fehlt dem deutschen Team für den Schritt zu Weltspitze?
Zwei, drei Nationen sind in der Welt aktuell führend. Dahinter gibt es einige Mannschaften, die je nach Tages- oder Turnierform vorne mitmischen und ins Halbfinale kommen können. Da zähle ich auf alle Fälle auch uns mit dazu. Doch wir müssen über 60 Minuten unsere Top-Leistung abrufen, dürfen uns keine Schwächephase erlauben. Ansonsten wird es auf diesem Niveau schwer.
Die Abwehr war nicht das Prunkstück vergangener Turniere. Lag das nur am Fehlen der etablierten Innenblock-Spieler wie Wiencek, Pekeler und Lemke?
Unsere Abwehr hat in dieser Form zuvor noch nie zusammengespielt. Wir haben zwar gute Ansätze gezeigt, waren insgesamt aber nicht konstant genug. Das hängt auch mit der mangelnden Feinabstimmung zusammen.
Du selbst wurdest in der Abwehr oft ausgewechselt, hast stattdessen David Schmidt den defensiven Part überlassen. Wie kam es dazu?
Die gesamten 60 Minuten Abwehr und Angriff zu spielen, das ist auf diesem hohen Niveau fast unmöglich. Deshalb war ich sehr dankbar, dass wir diesen Wechsel mit dem kurzen Wechselweg von der rechten Seite zur Bank durchgeführt haben, um Kräfte zu sparen für die zweite Halbzeit.
Von einigen überregionalen Medien wurdest Du als Gewinner dieser WM bezeichnet. Fühlst Du dich tatsächlich als Gewinner?
Grundsätzlich war es mein Ziel, dass wir die Hauptrunde überstehen und ins Viertelfinale kommen. Das steht für mich über allem. Natürlich habe ich mir vor dem Turnier vorgenommen, alles reinzulegen und der Mannschaft zu helfen. Ich bin jetzt auch schon ein paar Jährchen dabei und wollte vorangehen. In den ein oder anderen Spielen ist mir das ganz gut gelungen. Trotzdem weiß ich auch, an welchen Dingen ich ansetzen und mich steigern muss.
Besonders bei den knappen Niederlagen gegen Ungarn (28:29) und Spanien (28:32) hast Du mit deine beste Leistung gebracht, oder?
Wir haben als Team wirklich gut gespielt und gut gekämpft, auch persönlich lief es ganz gut. Grundsätzlich macht es mir immer Spaß gegen die besten Mannschaften der Welt zu spielen und sich mit ihnen zu messen. Das ist genau das, wofür man jeden Tag trainierst. Trotzdem müssen ein paar Prozent gefehlt haben, sonst hätten wir beide Spiele gewonnen.
Bei Deinem guten Auge für die Mitspieler lässt sich der Eindruck gewinnen, du wärst der „heimliche Spielmacher“ im deutschen Team. Nimmst Du diese Bezeichnung an?
Damit hätte Philipp Weber (Spielmacher vom SC DHfK Leipzig, d. Red.) wahrscheinlich ein Problem... (lacht)
Aber immerhin warst Du mit Abstand der beste Vorlagengeber im deutschen Team!
Ich bin nicht unbedingt der klassische Shooter-Typ, der aus elf Metern über den Doppelblock hinweg seine Tore wirft. Das ist überhaupt nicht mein Ding, das kann ich auch nicht so gut. Ich weiß, dass meine Stärken im Zusammenspiel mit den Außen und dem Kreisläufer liegen, diese versuche ich bestmöglich zu nutzen.
Du genießt das volle Vertrauen von Bundestrainer Alfred Gislason...
...das hat mir auch extrem gut getan. Ich durfte sehr viel spielen und Fehler machen. So etwas hilft, um seine Leistung zu bringen.
Was unterscheidet Gislason von Vorgänger Christian Prokop, was macht ihn vielleicht einen Tick besser?
Solche Vergleiche werden niemandem gerecht. Beide Trainer haben ihre eigene Handschrift und ich bin froh, dass ich die Art und Weise von beiden kennenlernen durfte. Alfred ist ein absoluter Ruhepol und ein super Trainer, mit dem wir uns auf die nächsten Turniere sehr freuen können.
Stimmt der Eindruck, dass sich trotz dem frühen Ausscheiden ein Konstrukt für die Zukunft entwickelt hat?
Ganz sicher sogar. Wir hatten leider nicht allzu viel Zeit, um das System von Alfred komplett umzusetzen. Die Zeit und die Erfahrungen aus dem Turnier werden gerade den jungen Spielern helfen und förderlich sein für die nächsten Aufgaben.
DHB-Vizepräsident Bob Hanning erwartet für den Sommer nicht weniger als Olympia-Gold. Ist das aus Deiner Sicht ein realistisches Ziel?
Ich bin gerne ein Typ, der zunächst den ersten Schritt macht und das Reden den anderen überlässt. Die Olympischen Spiele miterleben zu dürfen ist so ziemlich die größte Sache, die es gibt. Deswegen wollen wir unbedingt dabei sein. Bevor wir aber über eine Medaille reden, müssen wir uns erst einmal qualifizieren. Vor uns stehen drei extrem schwere Spiele.
Du sprichst es an: Zur Vorbereitung auf das Qualifikationsturnier in Berlin (12.-14.März) bleiben nur vier Trainingstage, der Druck ist immens.
Das wird ein Mammutprogramm. Bis dahin haben wir zunächst alle in unseren Vereinen viele Spiele vor der Brust, dann wartet mit Schweden der Vize-Weltmeister auf uns. Dieser Herausforderung wollen wir uns aber stellen, um bei Olympia dabei zu sein.
Wie sehr wird die Unterstützung der eigenen Zuschauer fehlen?
Mittlerweile sind wir es seit einigen Monaten gewöhnt. Aber wenn man ganz ehrlich ist, ist es einfach Mist. Die Zuschauer helfen uns immer, erst recht daheim. Doch wir sollten dem nicht hinterher trauern und einfach machen.
Bei der größer werdenden Konkurrenz – Weinhold, Wiede und Semper dürften bis März zurückkehren – hast Du deinen Platz im Kader auch nicht zwingend sicher.
In der Nationalmannschaft besteht immer eine große Konkurrenz, speziell auch auf meiner Position. Aber dem stelle ich mich gerne. Man muss sich mit guten Auftritten im Verein empfehlen und dann hat es der Bundestrainer in der Hand, wen er nominiert.
Nichtsdestotrotz wäre es für Dich ja eine Riesenenttäuschung, nach dem soliden WM-Turnier nicht nach Berlin fahren zu dürfen.
Natürlich. Ich bin immer stolz für die Nationalmannschaft zu spielen und werde alles dafür tun, um dort dabei zu sein.
Das für den Samstag (06.02.) geplante Spiel deiner MT Melsungen gegen die Rhein-Neckar-Löwen wurde verschoben, die Rückkehr in den Bundesliga-Alltag erfolgt nun erst am 11.Februar. Ist es zunächst einmal ein positiver Aspekt, eine zusätzliche Woche zum Regenerieren zu haben?
So eine lange Zeit bis zum nächsten Ligaspiel hatte ich in den vergangenen Jahren nie. Deshalb hätte ich viel lieber am Wochenende wieder gespielt, als das dann gegen Saisonende derart viele Spiele nachholen zu müssen. Auf uns warten dadurch brutale Wochen und Monate.
Ganz nach Wunsch lief die Saison bislang nicht, die MTM ist nur auf Tabellenplatz 13 zu finden. Wie lautet eure Zielvorgabe für die Rückrunde?
Wir wollen das internationale Geschäft erreichen, dazu braucht es erfahrungsgemäß einen Platz unter den ersten Sechs. Davon sind wir gerade ein ganzes Stück weit entfernt, weil wir uns in der Hinrunde einfach zu viele Ausrutscher erlaubt haben. Wenn man vor allem daheim so viele Punkte liegen lässt, dann hat man in der vorderen Tabellenregion nichts verloren. Doch jetzt haben wir noch in 23 Spielen die Möglichkeit, das besser zu machen.
Abgesehen vom Europapokalsieg 2011 mit Göppingen fehlt in Deiner Vita noch ein großer Titel auf Vereinsebene. Ist Melsungen dazu fähig?
Deutscher Meister zu werden dürfte in naher Zukunft extrem schwer sein, da muss man ehrlich zu sich selbst sein. Aber klar, auf das Final Four um den DHB-Pokal im Juni sind wir extrem heiß. In einem Spiel traue ich uns zu, gegen jede Mannschaft zu gewinnen.
Dein jüngerer Bruder Max vom Bundesliga-Konkurrenten TVB Stuttgart meinte Anfang Dezember im Interview, es sei „kein Geheimnis“, dass er gerne einmal mit Dir zusammen in einem Team spielen würde. Denkst Du genauso?
Ich hätte auf jeden Fall nichts dagegen. Wir müssen nur noch den passenden Verein finden (schmunzelt). Ich habe noch einen relativ langen Vertrag, daher müsste er entweder zu mir nach Melsungen kommen oder noch ein bisschen warten. Es wäre richtig cool, wenn es irgendwann klappen sollte. Aber dazu müsste zeitlich wie sportlich sehr Vieles zueinander passen.
Wie beurteilst Du seinen Werdegang? Wo kann der Weg für Max noch hinführen?
Er hat in der Hinrunde sensationell gespielt und einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Das gilt es jetzt für ihn zu bestätigen. Er muss weiter an sich zu arbeiten, um die nächsten Hürden zu nehmen. Auf diesem hohen Niveau wird die Luft immer dünner und die Schritte immer kleiner. Manchmal kann es in beide Richtungen sehr schnell gehen, man hat dabei nicht alles in der eigenen Hand. Das, was sich beeinflussen lässt, macht er ganz gut. Er ist noch jung und hat alle Möglichkeiten.
Dass Dein Vertrag noch bis Sommer 2023 läuft, spricht dafür, dass Du deine Zukunft in Melsungen siehst.
Die nächsten zweieinhalb Jahre werde ich auf jeden Fall dort verbringen, darauf freue ich mich. Was danach kommt, wird sich zeigen. Aktuell kann man im Sport ohnehin maximal bis zum nächsten Spiel blicken.
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An Kai Häfner lag es sicherlich nicht, dass die Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten für die deutsche Nationalmannschaft bereits nach der Hauptrunde beendet war. Der einstige TSBler übernahm Verantwortung und spielte zudem die meisten deutschen Assists. Am Ende überwog dennoch die Enttäuschung. Zählt der deutsche Handball nach Rang 12 bei der WM wirklich noch zur Weltspitze? Dieser Frage stellte sich der 99-fache Nationalspieler im Gespräch im Nico Schoch und blickte zugleich voraus auf die kommenden großen Ziele: Mit der MT Melsungen in den Europapokal einzuziehen und im Sommer mit der DHB-Auswahl ein zweites Mal nach 2016 zu den Olympischen Spielen zu fahren.
Hallo Kai, die wichtigste Frage vorab: Wie geht es Dir?
Häfner: Soweit passt alles, ich bin gesund und der Alltag hat mich wieder. Nach fünf freien Tagen ging es am Montag mit dem ersten Training in Melsungen wieder los. Leider hatten wir nach unserer Ankunft einen Corona-Fall im Nationalteam (Johannes Golla von der SG Flensburg, Anm. d. Red.). Alle anderen Tests waren negativ und ich hoffe, dass es dabei bleibt.
Wie tief sitzt noch der Frust nach dem frühen Ausscheiden bei der WM?
Wenn man die Finalspiele vom Sofa aus verfolgen muss, kommt das natürlich noch einmal hoch. Schließlich wäre man selbst gerne eine Woche länger in Ägypten geblieben. In zwei engen Spielen ist es uns leider nicht gelungen, eine Führung über die Zeit zu bringen und so waren es Kleinigkeiten, die uns gefehlt haben.
War Dein siebtes großes Turnier im Rückblick gleichzeitig das enttäuschendste?
Nein, das war eher die WM 2017 in Frankreich. Im Jahr davor haben wir die EM gewonnen und Olympia-Bronze geholt, wir waren richtig gut drauf und haben überraschenderweise das Achtelfinale gegen Katar verloren. Da war sehr viel mehr drin. Dieses Jahr war es auch extrem bitter, aber damals waren die Voraussetzungen besser.
War es die richtige Entscheidung, die WM trotz der besonderen Umstände auszutragen?
Die Ägypter haben alles unternommen, was möglich war. Natürlich handelt es sich „nur“ um Handball, aber letztendlich auch um unseren Job. Die Clubs und Verbände kämpfen ums Überleben, da ist so ein Turnier immens wichtig. Wie es dann durchgezogen wurde, war wirklich professionell.
Hast Du dir einmal ernsthaft Sorgen um deine eigene Gesundheit gemacht?
Anfangs war der Gedanke da, ob alles geregelt weitergeht oder das Turnier vielleicht abgebrochen wird, wenn sich Spieler untereinander infizieren sollten. Doch nach einer Woche hat sich das alles wieder gelegt. Wir wurden jeden Tag getestet und so hat man sich wirklich sehr sicher gefühlt.
Wie hast Du die Situation in Ägypten erlebt?
Ehrlich gesagt haben wir fast gar nichts mitbekommen. Wir waren total abgeschirmt, hatten keinen Kontakt nach außen. Aus dem Flieger heraus sind wir noch auf dem Rollfeld in den Bus gestiegen und dann ins Hotel gefahren, das wir außer zum Training und zu den Spielen nie verlassen haben. Der Bus ist dann sogar bis in die Halle hinein gefahren. Beim ersten Hotel hatten wir das Glück, vom Frühstückstisch aus direkt auf die Pyramiden von Gizeh zu blicken. Ansonsten haben wir nichts vom Land gesehen, nur Halle und Hotel.
Wie haben Ihr euch als Team die viele Freizeit im Teamhotel vertrieben?
Beim Tischtennis war ich zum Schluss sozusagen amtierender Meister (schmunzelt). Beim Darts hingegen gewinne ich keinen Blumentopf, da sind andere deutlich öfter und besser am Board.
Es kursiert das Gerücht, Torwart Silvio Heinevetter hätte eine Wette gegen Dich verloren und musste sich deshalb seinen Bart abrasieren.
(lacht) Das stimmt nicht ganz. Er war sogar auf meiner Seite. Wir sind immer eine knappe Stunde bis zum Training gefahren und haben dabei mit mehreren Leuten ein Handy-Golfspiel gezockt. Zwischen David Schmidt und mir ging es dabei immer sehr eng zu. Eng in der Hinsicht, dass wir beide überhaupt nicht gut waren. Am vorletzten Abend ist daraus eine kleine Wette entstanden, alle Spieler mussten sich für eine Seite entscheiden. Ich habe das Spiel dann verloren und deshalb musste sich Heine einen Schnauzer stehen lassen.
Durch zahlreiche Bilder sicher belegt ist aber, dass Heinevetter im Teamhotel mehrere Mitspieler frisierte. Lässt du dir bald auch von ihm die Haare schneiden?
Das hat er wirklich gut gemacht. Wenn der Lockdown bei uns noch weiter anhält, muss ich vielleicht demnächst einen Termin beim Salon Heinevetter ausmachen.
Zurück zum Sportlichen: War die Mannschaft wirklich so weit entfernt von der Weltspitze, wie es Platz 12 aussagt, oder haben doch nur Nuancen zum Weiterkommen gefehlt?
Hättest du mich in der 45.Minute gegen Spanien gefragt, hätte ich gesagt, dass wir ziemlich nah dran sind an der Spitze. Im Endeffekt haben wir es aber doch nicht ins Viertelfinale geschafft, daher sind es gemischte Gefühle. In den entscheidenden Momenten hat uns die Cleverness gefehlt.
Muss man sich nach der schlechtesten Platzierung der Verbandsgeschichte Sorgen um den deutschen Handball machen?
Nein, das denke ich nicht. Genügend Potenzial ist vorhanden und die einzelnen Auftritte machen uns Mut. Wir können das ganz gut einschätzen und wissen was wir noch tun müssen, um endlich wieder um die Medaillen mitzuspielen.
Nehmen wir einmal die Finalisten Schweden und Dänemark als Vorbild: Was genau fehlt dem deutschen Team für den Schritt zu Weltspitze?
Zwei, drei Nationen sind in der Welt aktuell führend. Dahinter gibt es einige Mannschaften, die je nach Tages- oder Turnierform vorne mitmischen und ins Halbfinale kommen können. Da zähle ich auf alle Fälle auch uns mit dazu. Doch wir müssen über 60 Minuten unsere Top-Leistung abrufen, dürfen uns keine Schwächephase erlauben. Ansonsten wird es auf diesem Niveau schwer.
Die Abwehr war nicht das Prunkstück vergangener Turniere. Lag das nur am Fehlen der etablierten Innenblock-Spieler wie Wiencek, Pekeler und Lemke?
Unsere Abwehr hat in dieser Form zuvor noch nie zusammengespielt. Wir haben zwar gute Ansätze gezeigt, waren insgesamt aber nicht konstant genug. Das hängt auch mit der mangelnden Feinabstimmung zusammen.
Du selbst wurdest in der Abwehr oft ausgewechselt, hast stattdessen David Schmidt den defensiven Part überlassen. Wie kam es dazu?
Die gesamten 60 Minuten Abwehr und Angriff zu spielen, das ist auf diesem hohen Niveau fast unmöglich. Deshalb war ich sehr dankbar, dass wir diesen Wechsel mit dem kurzen Wechselweg von der rechten Seite zur Bank durchgeführt haben, um Kräfte zu sparen für die zweite Halbzeit.
Von einigen überregionalen Medien wurdest Du als Gewinner dieser WM bezeichnet. Fühlst Du dich tatsächlich als Gewinner?
Grundsätzlich war es mein Ziel, dass wir die Hauptrunde überstehen und ins Viertelfinale kommen. Das steht für mich über allem. Natürlich habe ich mir vor dem Turnier vorgenommen, alles reinzulegen und der Mannschaft zu helfen. Ich bin jetzt auch schon ein paar Jährchen dabei und wollte vorangehen. In den ein oder anderen Spielen ist mir das ganz gut gelungen. Trotzdem weiß ich auch, an welchen Dingen ich ansetzen und mich steigern muss.
Besonders bei den knappen Niederlagen gegen Ungarn (28:29) und Spanien (28:32) hast Du mit deine beste Leistung gebracht, oder?
Wir haben als Team wirklich gut gespielt und gut gekämpft, auch persönlich lief es ganz gut. Grundsätzlich macht es mir immer Spaß gegen die besten Mannschaften der Welt zu spielen und sich mit ihnen zu messen. Das ist genau das, wofür man jeden Tag trainierst. Trotzdem müssen ein paar Prozent gefehlt haben, sonst hätten wir beide Spiele gewonnen.
Bei Deinem guten Auge für die Mitspieler lässt sich der Eindruck gewinnen, du wärst der „heimliche Spielmacher“ im deutschen Team. Nimmst Du diese Bezeichnung an?
Damit hätte Philipp Weber (Spielmacher vom SC DHfK Leipzig, d. Red.) wahrscheinlich ein Problem... (lacht)
Aber immerhin warst Du mit Abstand der beste Vorlagengeber im deutschen Team!
Ich bin nicht unbedingt der klassische Shooter-Typ, der aus elf Metern über den Doppelblock hinweg seine Tore wirft. Das ist überhaupt nicht mein Ding, das kann ich auch nicht so gut. Ich weiß, dass meine Stärken im Zusammenspiel mit den Außen und dem Kreisläufer liegen, diese versuche ich bestmöglich zu nutzen.
Du genießt das volle Vertrauen von Bundestrainer Alfred Gislason...
...das hat mir auch extrem gut getan. Ich durfte sehr viel spielen und Fehler machen. So etwas hilft, um seine Leistung zu bringen.
Was unterscheidet Gislason von Vorgänger Christian Prokop, was macht ihn vielleicht einen Tick besser?
Solche Vergleiche werden niemandem gerecht. Beide Trainer haben ihre eigene Handschrift und ich bin froh, dass ich die Art und Weise von beiden kennenlernen durfte. Alfred ist ein absoluter Ruhepol und ein super Trainer, mit dem wir uns auf die nächsten Turniere sehr freuen können.
Stimmt der Eindruck, dass sich trotz dem frühen Ausscheiden ein Konstrukt für die Zukunft entwickelt hat?
Ganz sicher sogar. Wir hatten leider nicht allzu viel Zeit, um das System von Alfred komplett umzusetzen. Die Zeit und die Erfahrungen aus dem Turnier werden gerade den jungen Spielern helfen und förderlich sein für die nächsten Aufgaben.
DHB-Vizepräsident Bob Hanning erwartet für den Sommer nicht weniger als Olympia-Gold. Ist das aus Deiner Sicht ein realistisches Ziel?
Ich bin gerne ein Typ, der zunächst den ersten Schritt macht und das Reden den anderen überlässt. Die Olympischen Spiele miterleben zu dürfen ist so ziemlich die größte Sache, die es gibt. Deswegen wollen wir unbedingt dabei sein. Bevor wir aber über eine Medaille reden, müssen wir uns erst einmal qualifizieren. Vor uns stehen drei extrem schwere Spiele.
Du sprichst es an: Zur Vorbereitung auf das Qualifikationsturnier in Berlin (12.-14.März) bleiben nur vier Trainingstage, der Druck ist immens.
Das wird ein Mammutprogramm. Bis dahin haben wir zunächst alle in unseren Vereinen viele Spiele vor der Brust, dann wartet mit Schweden der Vize-Weltmeister auf uns. Dieser Herausforderung wollen wir uns aber stellen, um bei Olympia dabei zu sein.
Wie sehr wird die Unterstützung der eigenen Zuschauer fehlen?
Mittlerweile sind wir es seit einigen Monaten gewöhnt. Aber wenn man ganz ehrlich ist, ist es einfach Mist. Die Zuschauer helfen uns immer, erst recht daheim. Doch wir sollten dem nicht hinterher trauern und einfach machen.
Bei der größer werdenden Konkurrenz – Weinhold, Wiede und Semper dürften bis März zurückkehren – hast Du deinen Platz im Kader auch nicht zwingend sicher.
In der Nationalmannschaft besteht immer eine große Konkurrenz, speziell auch auf meiner Position. Aber dem stelle ich mich gerne. Man muss sich mit guten Auftritten im Verein empfehlen und dann hat es der Bundestrainer in der Hand, wen er nominiert.
Nichtsdestotrotz wäre es für Dich ja eine Riesenenttäuschung, nach dem soliden WM-Turnier nicht nach Berlin fahren zu dürfen.
Natürlich. Ich bin immer stolz für die Nationalmannschaft zu spielen und werde alles dafür tun, um dort dabei zu sein.
Das für den Samstag (06.02.) geplante Spiel deiner MT Melsungen gegen die Rhein-Neckar-Löwen wurde verschoben, die Rückkehr in den Bundesliga-Alltag erfolgt nun erst am 11.Februar. Ist es zunächst einmal ein positiver Aspekt, eine zusätzliche Woche zum Regenerieren zu haben?
So eine lange Zeit bis zum nächsten Ligaspiel hatte ich in den vergangenen Jahren nie. Deshalb hätte ich viel lieber am Wochenende wieder gespielt, als das dann gegen Saisonende derart viele Spiele nachholen zu müssen. Auf uns warten dadurch brutale Wochen und Monate.
Ganz nach Wunsch lief die Saison bislang nicht, die MTM ist nur auf Tabellenplatz 13 zu finden. Wie lautet eure Zielvorgabe für die Rückrunde?
Wir wollen das internationale Geschäft erreichen, dazu braucht es erfahrungsgemäß einen Platz unter den ersten Sechs. Davon sind wir gerade ein ganzes Stück weit entfernt, weil wir uns in der Hinrunde einfach zu viele Ausrutscher erlaubt haben. Wenn man vor allem daheim so viele Punkte liegen lässt, dann hat man in der vorderen Tabellenregion nichts verloren. Doch jetzt haben wir noch in 23 Spielen die Möglichkeit, das besser zu machen.
Abgesehen vom Europapokalsieg 2011 mit Göppingen fehlt in Deiner Vita noch ein großer Titel auf Vereinsebene. Ist Melsungen dazu fähig?
Deutscher Meister zu werden dürfte in naher Zukunft extrem schwer sein, da muss man ehrlich zu sich selbst sein. Aber klar, auf das Final Four um den DHB-Pokal im Juni sind wir extrem heiß. In einem Spiel traue ich uns zu, gegen jede Mannschaft zu gewinnen.
Dein jüngerer Bruder Max vom Bundesliga-Konkurrenten TVB Stuttgart meinte Anfang Dezember im Interview, es sei „kein Geheimnis“, dass er gerne einmal mit Dir zusammen in einem Team spielen würde. Denkst Du genauso?
Ich hätte auf jeden Fall nichts dagegen. Wir müssen nur noch den passenden Verein finden (schmunzelt). Ich habe noch einen relativ langen Vertrag, daher müsste er entweder zu mir nach Melsungen kommen oder noch ein bisschen warten. Es wäre richtig cool, wenn es irgendwann klappen sollte. Aber dazu müsste zeitlich wie sportlich sehr Vieles zueinander passen.
Wie beurteilst Du seinen Werdegang? Wo kann der Weg für Max noch hinführen?
Er hat in der Hinrunde sensationell gespielt und einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Das gilt es jetzt für ihn zu bestätigen. Er muss weiter an sich zu arbeiten, um die nächsten Hürden zu nehmen. Auf diesem hohen Niveau wird die Luft immer dünner und die Schritte immer kleiner. Manchmal kann es in beide Richtungen sehr schnell gehen, man hat dabei nicht alles in der eigenen Hand. Das, was sich beeinflussen lässt, macht er ganz gut. Er ist noch jung und hat alle Möglichkeiten.
Dass Dein Vertrag noch bis Sommer 2023 läuft, spricht dafür, dass Du deine Zukunft in Melsungen siehst.
Die nächsten zweieinhalb Jahre werde ich auf jeden Fall dort verbringen, darauf freue ich mich. Was danach kommt, wird sich zeigen. Aktuell kann man im Sport ohnehin maximal bis zum nächsten Spiel blicken.
Geboren: 10.Juli 1989 in Schwäbisch Gmünd
Bisherige Stationen: TSB Gmünd (bis 2007), TV Bittenfeld (2007-2008, mit Zweitspielrecht), Frisch Auf Göppingen (2007-2011), HBW Balingen-Weilstetten (2011-2014), TSV Hannover-Burgdorf (2014-2019), MT Melsungen (2019-2023)
Bundesliga-Spiele: 373
Bundesliga-Tore: 1216
Länderspiele: 99
Länderspieltore: 220 (Alle Zahlen: Stand 05.Februar 2021)
Bilanz WM 2021: 5 Spiele, 2:26 Stunden Spielzeit, 14 Tore (28 Würfe), 15 Assists
Größte Erfolge: Europameister 2016, Olympia-Bronze 2016, Junioren-Weltmeister 2009
(Text: Nico Schoch - Bilder: International Handball Federation IHF (7), Mario Klaiber (3), TSB-Archiv)