Djibril M´Bengue und sein "gelebter Traum": Vom TSB über Portugal in die Nationalmannschaft

Eine Geschichte von harter Arbeit und der nötigen Portion Glück. Noch bis 2015 ging Djibril M´Bengue für den TSB Gmünd in der BW-Oberliga auf Torejagd, beim FC Porto hat er sich international in den Vordergrund gespielt. Im großen Interview spricht der 29-Jährige über sein Nationalmannschaftsdebüt und die bevorstehende Rückkehr in die Bundesliga.

Als „Urgewalt aus Urbach“ wurde er in den Medien einst bezeichnet. Nach langwierigen Kniebeschwerden hat sich Djibril M´Bengue in den vergangenen drei Jahren zurückgekämpft. Über den FC Porto und die Teilnahme an der Champions League empfahl sich der frühere Top-Torjäger des TSB Gmünd zuletzt für die Nationalmannschaft. Kein Wunder, dass er längst wieder in den Fokus der Handball-Bundesliga gerückt ist. Am Montag (15.November) verkündete der Bergische HC die Verpflichtung des rechten Rückraumspielers für die kommende Saison.
 
"Mit Djibril gewinnen wir einen wurfstarken Angreifer, seine Deckungsqualität macht ihn zu einem kompletten Spieler", kommentierte BHC-Geschäftsführer Jörg Föste den Zugang des gebürtigen Schorndorfers, der einen Vertrag bis 2025 unterzeichnete. Sportliche Gründe alleine waren allerdings nicht ausschlaggebend für die Rückkehr nach Deutschland, wie M´Bengue im Gespräch mit Nico Schoch erklärt. Im Hintergrund bleibt auch noch der Traum von der Teilnahme an der Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei (13.-30.Januar 2022).
Hallo Djibi, wie schwer wird dir der Abschied aus Portugal fallen?

Dem FC Porto habe ich viel zu verdanken. Aufgrund meiner Vorgeschichte sind sie damals ein großes Risiko eingegangen. Dafür bin ich unfassbar dankbar und das werde ich dem Verein nie vergessen. Sportlich gesehen gibt es eigentlich keine Gründe, Portugal zu verlassen. Aber der familiäre Aspekt war ausschlaggebend. Für meine Freundin und mich war es die Prämisse, in Deutschland einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt zu schaffen.
 
Warum ist es denn nun der Bergische HC geworden, der aktuell nur auf Platz zwölf steht und voraussichtlich nicht im Europapokal spielen wird?
 
Das Gesamtpaket passt einfach. Der BHC hat eine solide Mannschaft mit Luft nach oben. Sie bekommen nächstes Jahr einen neuen, jungen Trainer (Anm. d. Red.: Jamal Naji vom Zweitligisten TUSEM Essen). Ich freue mich richtig darauf, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen und dann zu sehen, wie weit wir uns nach oben orientieren können.

In der Bundesliga stehst du automatisch auch noch mehr im Blickfeld von Bundestrainer Alfred Gislason.
 
Ach was, darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Jetzt zählt nur die aktuelle Saison in Porto. Alles andere wird sich ergeben, wenn es soweit ist.
Wie hast du die Woche bei der Nationalmannschaft erlebt?
 
Alle haben es mir sehr einfach gemacht, ich war schon in den ersten Minuten voll integriert. Es hat einen Riesenspaß gemacht, wir haben viel gelernt. Schön war auch zu sehen, das auch in so einem kurzen Zeitraum ein Fortschritt zu sehen ist.

Mit dir haben gleich sechs andere Spieler ihr erstes Länderspiel absolviert. Fällt es da automatisch leichter, sich einzufügen?
 
Tatsächlich war ich der Zweitälteste in dieser jungen Mannschaft. Meine Erfahrungen konnte ich einbringen und so haben wir alle voneinander profitiert. Dass sich mehrere Jungs noch orientieren und alles erfragen mussten, hat es nochmals einfacher gemacht. Mein Zimmerkollege Lukas Zerbe wusste auch noch nicht so genau, wie alles abläuft.
 
Mit fünf Tore in den beiden Testspielen gegen Portugal ist dir gleich ein hervorragender Einstand gelungen.
 
Auf der Busfahrt zum ersten Spiel war ich sehr nervös. Doch in der Halle ist es mir gelungen, den Moment einfach zu genießen. Es war eine große Ehre, dass der Trainer mir direkt das Vertrauen geschenkt hat, zweimal eine Halbzeit zu spielen.
Hast Du manchmal Angst davor, aufzuwachen und all das Erlebte der vergangenen Jahre war bloß ein Traum?
 
(lacht) Nein, sicher nicht. Auf jeden Fall aber ist es ein gelebter Traum. Da steckt viel harte Arbeit drin, aber auch ein bisschen Zufall. Nur durch die Verletzung von Fabian Wiede bin ich überhaupt in diese Position gekommen.
 
Mit 29 Jahren erstmals in die Nationalmannschaft berufen zu werden, ist nicht gerade alltäglich...
 
...aber so ist ja mein Weg. Er war nie geradlinig, sondern hatte viele Höhen und Tiefen. In den vergangenen Tagen habe ich deshalb auch einige interessante Schlagzeilen gelesen (lacht).
Hast du dich vor diesem Jahr jemals gedanklich mit der Nationalmannschaft beschäftigt?
 
Als ich im Januar im erweiterten Kader für die WM stand, kam die Thematik zum ersten Mal auf. Doch ich habe wirklich keinen Gedanken daran verschwendet. In den vergangenen Jahren habe ich mich nur auf meinen Körper fokussiert und darauf, meine Leistung zu bringen. Das hat sich jetzt ausgezahlt.
 
Doch der Traum Nationalspieler zu werden, war für dich ja stets weiter weg als für alle anderen im DHB-Team. Du hast nie eine Auswahlmannschaft durchlaufen.
 
Ich will mich gar nicht darüber beschweren, dass ich irgendwie benachteiligt worden wäre und im Jugendbereich überhaupt nicht auf dem Radar war. Beim TSB Gmünd und auch in Bittenfeld hatte ich eine tolle Zeit. All das ist Teil meiner Geschichte und ich bin sehr dankbar dafür, wie sich alles entwickelt hat.
Von einem Handball-Märchen ist oft die Rede, wenn über dich gesprochen und geschrieben wird. Kannst du selbst mit diesem Begriff etwas anfangen?
 
Ein Märchen klingt schön und verkauft sich natürlich gut. Doch mir ist nichts zugeflogen, es steckt sehr viel harte Arbeit drin. Wer nicht viel Zeit investiert, der wird auch nicht belohnt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorwerfen, nicht alles Mögliche dafür getan zu haben, das mein Körper wieder funktioniert.
 
Aber ich trete dir sicherlich nicht zu nahe, wenn ich sage, dass deine Profikarriere vor knapp vier Jahren auf der Kippe stand?
 
Für mich persönlich nicht! Es gab viele Rückschläge, doch mein Wille war immer da. Auf lange Sicht gab es für mich nur das Ziel, zurückzukommen. Der Schritt nach Portugal war dafür absolut richtig. Ein Quäntchen Glück gehört auch dazu. Denn dass es so ausgezeichnet laufen und wir in Porto so viele Erfolge feiern würden, war nicht abzusehen. Ich war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
 
Was hast du selbst nach deiner Verletzungsmisere verändert?
 
Die Ansätze in der Athletik, die mir während der Reha in Dortmund aufgezeigt wurden, begleiten mich bis heute. Zu diesem Zeitpunkt hatte mein Knie einfach schon zu viele Schäden, deshalb ist mir damals die Kniescheibe gebrochen. Doch diese Routinen waren der Schlüssel. Die Bedingungen in Porto sind hervorragend. Kraftraum, Physiobereich und Wellness sind dort auf höchstem Niveau. Vom Athletiktrainer bekomme ich die Freiheiten, um meine Übungen durchzuführen. Dadurch fühle ich mich einfach gut.
Wie war die Reaktion der Teamkollegen aus Porto, als deine Nominierung für das DHB-Team bekannt wurde?
 
Das war ein Riesenthema. Die Jungs haben sich unfassbar für mich gefreut, weil sie wissen, wie hart ich arbeite. Wir teilen seit drei Jahren eine Kabine, dieses Band ist inzwischen sehr stark. Bei den Portugiesen standen zur Hälfte aktuelle oder ehemalige Spieler aus Porto auf dem Feld. Deshalb hätte man sich diese gesamte Konstellation nicht besser ausmalen können.
 
Haben die Kollegen auch schon einmal scherzhaft gefragt, ob du nicht für Portugal auflaufen möchtest?
 
Das war tatsächlich schon einmal Thema, weil die Linkshänder-Position bei vielen Nationen ziemlich schwierig zu besetzen ist. Doch ich bin sehr froh, wie es jetzt gelaufen ist.
 
Hat Alfred Gislason dir erklärt, was er erwartet und warum er dich ausgewählt hat?
 
Bei unserer ersten Begegnung hat er mich beglückwünscht und im Videostudium allgemein klar gemacht, was er sehen möchte. Das habe ich versucht, umzusetzen. Doch es ist nicht sein Aufgabe, sich zu rechtfertigen. Jeder, der im Kader stand, hat sich das verdient.
Immerhin hatte der Bundestrainer auch andere Alternativen. Mit Kai Häfner musste ein 105-facher Nationalspieler, ebenfalls ein Ex-TSBler, zuhause bleiben.
 
Unabhängig davon ist er ein unfassbar guter Handballer, der auch in Zukunft ein großer Bestandteil der Nationalmannschaft sein kann. Doch er hat dieses Jahr extrem viele Spiele in den Knochen.
 
Um ein Thema kommen wir nicht herum. Du bist nun der erst dritte und aktuell einzige dunkelhäutige deutsche Nationalspieler. Zeigt das, welch schweren Stand der Handball immer noch hat?
 
Es ist allgemein schwierig, die Kinder in die Halle zu bringen. Der Fußball überstrahlt immer noch alles. Der Handball entwickelt sich, doch die Kosten spielen da mit rein und Corona hat es für die Vereine nicht einfacher gemacht. Ich kann auch nicht genau sagen, was zu tun ist, um dieses Potenzial voll auszuschöpfen und auch mehr Kinder mit Migrationshintergrund für den Handball zu begeistern. Doch der Verband treibt das mit seinen Kampagnen voran. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, es aber einfach noch Zeit braucht.
 
Rechnest du nun mit weiteren Einladungen zur Nationalmannschaft?
 
Diese Entscheidung müssen andere treffen. Ich habe gezeigt, was ich kann und mich gut präsentiert. Jetzt konzentriere mich nur auf den FC Porto. Da gibt es noch viele Gelegenheiten, sich auszuzeichnen. Alles andere liegt in der Zukunft.
Porto ist amtierender portugiesischer Meister und auch international längst kein Nobody mehr. Das Final Four in der Champions League zu erreichen, wäre für dich persönlich doch ein hervorragender Abschluss?
 
(schmunzelt) Die Reise nach Köln würden wir sehr gerne antreten. Schon in der Vorsaison war viel drin und wir sind sehr unglücklich im Achtelfinale ausgeschieden. In unserem ersten Jahr waren wir für alle Eindrücke dankbar, nun haben wir eine höhere Erwartungshaltung geschaffen. Der Druck ist schon da. Bislang machen wir unsere Sache sehr gut und es macht unfassbar viel Spaß, sich mit den Besten der Besten zu messen.
 
Hoffst du gleichzeitig auch auf die Teilnahme an der bevorstehenden Europameisterschaft im Januar?
 
Es sind zwar nur noch zwei Monate, doch bis dahin haben wir mit Porto zehn Spiele zu bestreiten. Deshalb ist die EM noch ziemlich weit weg und nicht das Ziel, auf das ich mich aktuell fokussieren sollte.

Vielen Dank für deine Zeit, Djibi, und weiterhin viel Erfolg! Bis bald in Gmünd!

(Text: Nico Schoch - Bilder: dpa (3), Imago Images (2), DHB (2), Jens Körner, FC Porto, Jens Schamberger)