Geradlinig und direkt – nicht nur auf dem Spielfeld. Mit beeindruckender Ehrlichkeit schildert Moritz Knück seinen Entschluss, inmitten der Corona-Pandemie seine handballerische Laufbahn zu beenden. Nur zu gerne hätte der Linksaußen mehr als nur vier Oberliga-Einsätze im Trikot des TSB Gmünd absolviert. Andauernde Schulterprobleme und eine neue berufliche Chance zwingen ihn jedoch mit gerade einmal 27 Jahren zum verfrühten Karriereende.
Selbstbewusst klang er vor Saisonbeginn. Bei seinem Heimatverein SV Remshalden hatte der Linksaußen, der von allen nur „Momo“ gerufen wird, zuvor die Kapitänsbinde getragen. Kein Wunder also, dass Moritz Knück auch beim TSB Gmünd die Verantwortung nicht scheute. Ganz besonders im Hinblick auf die zahlreichen Jugendspieler, die es in den Kader zu integrieren galt. „Ich helfe jedem gerne weiter, bin durch und durch Mannschaftssportler“, bekannte Knück während der Sommervorbereitung: „Vorne weg zu gehen, das macht mir Spaß. Wenn der Körper mitmacht, sehe ich noch fünf oder sechs gute Jahre vor mir.“ Doch nur wenige Monate später folgt der Schlussstrich.
Von einem herben Verlust spricht der Sportliche Leiter Jürgen Rilli: „Momo hat sich in kürzester Zeit bestens im Verein eingelebt, er hat die Lust am Handball wiederentdeckt. Dass er uns künftig nicht mehr zur Verfügung steht, ist umso tragischer, aber vollkommen nachvollziehbar.“ Im persönlichen Gespräch wird rasch deutlich, dass es sich dabei keinesfalls um eine Kurzschlussreaktion, sondern um eine lange gereifte Entscheidung handelt. „Ich habe mit mir selbst gerungen und mehr als eine schlaflose Nacht deshalb verbracht“, schildert Knück seine Gefühlslage: „So blöd es auch klingen mag, hat mir die Entwöhnung vom Sport durch Corona ganz gut getan.“ Ziemlich genau fünf Monate liegt das bislang letzte Mannschaftstraining zurück. Seitdem herrscht der Lockdown. Und Knück stellte sich die unangenehme Frage: „Fehlt mir jetzt wirklich etwas ohne Handball? Meinem Körper tut diese Zeit gut. Geschäftlich ist die Belastung hingegen nicht weniger geworden, ganz im Gegenteil sogar.“
Vor allem der zeitliche Aspekt sei letztlich ausschlaggebend gewesen. Dreimal wöchentlich morgens um 7 Uhr das Haus verlassen, abends von der Arbeit in Göppingen direkt nach Gmünd zum Training und erst um kurz vor 23 Uhr wieder zuhause sein – all das kostet Körner: „Die Anstrengung war brutal hoch, auch privat ist vieles zu kurz gekommen. Als ich in Remshalden gespielt und nur fünf Minuten zur Halle gebraucht habe, blieb zwischendurch wenigstens etwas Zeit, um sich mit der Freundin auszutauschen.“ Hinzugekommen ist nun eine reizvolle, neue Job-Perspektive. Die will Knück, der im technischen Support beim Software-Hersteller TeamViewer tätig ist, verständlicherweise nicht ausschlagen.
Ein Teamplayer im besten Sinne, das ist der Mann mit der Rückennummer 23 auf der Platte jahrelang gewesen. „Ich habe dem Handball viel untergeordnet, ihm aber auch sehr viel zu verdanken“, nennt Knück die lange Liste an Freunden, die er in all den Jahren gewonnen hat: „Dieser allgegenwärtige Teamgeist ist unersetzlich, egal in welcher Lebenslage und auch im Beruf.“ Zumal der Rechtshänder heftige Rückschläge wegstecken musste in seiner Laufbahn, die einst im Rückraum ihren Anfang nahm. Auf drei Jahre in der Jugend des SV Kornwestheim folgte 2012 die Rückkehr nach Remshalden. Der Sprung zu den Aktiven hätte kaum tragischer verlaufen können. Am 1.April riss im linken Knie das Kreuzband, am 16.Dezember dann im rechten Knie. Ans Aufhören verschwendete er dennoch keinen einzigen Gedanken: „Aufzuhören war für mich mit 18 Jahren einfach nicht akzeptabel.“ Mit hohem Fleiß und einer Extraportion Krafttraining gelang das Comeback. Aufgrund der enormen Konkurrenz im Rückraum fand sich Knück plötzlich auf der Außenbahn wieder – was keinesfalls von Nachteil war: „Nachdem es mir zweimal das Kreuzband zerschossen hat, hatte ich auch stark mit dem Kopf zu kämpfen. So war es für den Anfang deutlich entspannter, nicht immer im Rückraum einstecken zu müssen. Schließlich habe ich mich mit der Position angefreundet und das Beste daraus gemacht.“
Der Lohn: Acht Jahre in Remshalden voller Höhen und Tiefen. Gleich zweimal – 2014 und 2017 – gelang der Aufstieg in die Oberliga, wenn auch jeweils dicht gefolgt vom Wiederabstieg. Eine „Wahnsinnszeit“, auf die Knück zurückblickt. Der Klassenerhalt 2018 sei definitiv das „geilste Erlebnis“ gewesen: „Wir haben Punkte geholt, die uns im Vornherein kein Mensch zugetraut hätte. Von der Qualität her waren viele Gegner vielleicht stärker, doch unsere tolle Mentalität hat sich durchgesetzt.“ Eher traurig und still verlief hingegen der Abschied im vergangenen Frühjahr. Die Qualifikation für die eingleisige Württembergliga verpasste die SVR deutlich. Die folgenden Auflösungserscheinungen waren ziemlich drastisch. Spätestens als mit Spielmacher Marian Rascher auch Knücks bester Freund („Wir verstehen uns blind, auf und auch neben dem Spielfeld“) von Bord ging, stand auch für den Kapitän fest, dass er etwas Neues wagen wollte: „Ich habe Remshalden handballerisch alles zu verdanken. Doch wenn man sich nach langer Zeit in einer gewissen Komfortzone befindet, ist es völlig normal, dass die Leistung stagniert.“
Und so gab Knück am 09.März Jürgen Rilli seine Zusage. Die Ligazugehörigkeit spielte dabei keine Rolle, immerhin drohte dem TSB der Abstieg aus der Oberliga. Drei Tage später sorgte die Pandemie für das vorzeitige Saisonende. Die „Jets“ blieben dadurch viertklassig, was dem Neuen einen Extra-Schub Motivation bescherte: „Grundsätzlich will ich alles, was ich mache, so professionell wie nur möglich tun. Je höher die Liga, desto besser. Ich wollte nochmal voll angreifen und beweisen, dass ich auf diesem Niveau mithalten kann.“ In Gmünd fand gleichzeitig die altbekannte Beachhandball-Clique zusammen, was die Eingewöhnung ungemein erleichterte: Die Brüderpaare Marian und Nicola Rascher sowie Daniel und Stephan Mühleisen kannte der Linksaußen längst in- und auswendig. Mit den „Otternasen“ aus Bartenbach feierte das Quintett 2019 sogar den dritten Platz bei der Deutschen Beachhandball-Meisterschaft.
Die Luftveränderung tat Knück sichtbar gut. Vom früheren Bundesliga-Linksaußen Dragoș Oprea als Trainer sei er gleichermaßen gefordert und gefördert worden. „Ich bin bestimmt nicht der talentierteste Spieler, sondern komme viel mehr über Emotion und Motivation“, weiß sich Knück selbst ehrlich einzuschätzen. Auch sei er nicht der spektakuläre Typ wie Positionskollege Aleksa Djokic: „Ab und zu bin ich sicher auch für einen Trickwurf gut, mit meiner Spannweite bin ich in der Abwehr aber insgesamt noch etwas besser aufgehoben.“
Dass „Momo“ aber auch tolle Flugeigenschaften wie auch die nötige Nervenstärke mitbringt, davon konnten sich die TSB-Fans beim bislang letzten Heimspiel im Oktober selbst überzeugen. In der hitzigen Schlussphase traf der Neuzugang aus spitzem Winkel zum 26:24, am Ende siegten die Gmünder gegen Neckarsulm hauchdünn mit 29:27. Für Knück war dies der Höhepunkt seiner kurzen Zeit bei den „Jets“, wenngleich auch ein äußerst schmerzhafter Moment. Am Abend überwog zwar die Freude über den wichtigen Treffer – allerdings hatte sich der 27-Jährige just in dieser Szene die Schulter ausgekugelt. Fortan tat jede Bewegung weh, auch im Alltag. „Es ging so weit, dass ich wegen der Schmerzen nicht einmal mehr auf der rechten Seite schlafen konnte“, so Knück. Um weiter Handball spielen zu können, sei eine Operation einschließlich langer Reha-Zeit unvermeidbar. Genau das kann oder will er sich nicht erlauben, um die berufliche Aufstiegschance nicht zu gefährden.
Der TSB hätte die Zusammenarbeit nur allzu gerne fortgesetzt. „Als Typ und als Spieler würde er uns auch in der neuen Runde weiterbringen“, ist Rilli überzeugt. Dementsprechend sind sowohl der Sportliche Leiter als auch Chefcoach Oprea dem loyalen Linksaußen entgegengekommen, was Trainingszeiten und Verschnaufpausen angeht. „Das ist keine Selbstverständlichkeit, erst recht nicht auf diesem semiprofessionellem Niveau“, weiß Knück dieses Angebot zwar sehr wohl zu schätzen. Doch die Antwort stand schnell fest: „Ich will diese Privilegien nicht. Entweder ich mache es ganz oder gar nicht.“ Er habe immer mit der maximalen Leidenschaft für seine Leistung arbeiten müssen. Ob das nochmals eine Saison funktioniert hätte? Wahrscheinlich nicht. „Wenn es meinem Körper dann noch schlechter geht, macht es keinen Sinn“, ist sich der 27-Jährige bewusst: „Und wenn ich am Wochenende unzufrieden auf der Bank sitze, weil ich das Training verpasst habe, würde ich mir keinen Gefallen tun und der Mannschaft sicher auch nicht. So aber bin ich mit mir selbst im Reinen.“
Zumindest auf die Beachhandball-Turniere, sofern sie denn wieder stattfinden können, wird er weiterhin hinfiebern: „Da ich dort fast ausschließlich in der Abwehr spiele und maximal beim Blocken einen Ball an die Hand bekomme, ist das kein Problem für die Schulter.“ In der Halle hingegen werden auf die 78 Oberliga-Spiele (119/13 Tore) keine weiteren mehr obendrauf kommen. Dabei ist es Knück wichtig, eine Sache klarzustellen: „Das ist keine Entscheidung gegen den TSB, sondern für meinen Körper, für meine berufliche Zukunft und mein privates Umfeld. Hätte ich drei- oder viermal vor einer vollen Sporthalle in Gmünd spielen können, wäre mir mein Entschluss vermutlich noch schwerer gefallen.“ Dass bislang nicht einmal die Gelegenheit bestand, sich vom Umfeld, wie den beiden Hausmeistern Branka Grützmacher und Peter Künstler („Beide liegen mir extrem am Herzen“) zu verabschieden, schmerzt den künftigen Handball-Rentner zusätzlich. Unterm Strich steht aber vor allem die Dankbarkeit für das Vertrauen, dass ihm von allen Seiten entgegen gebracht wurde: „Letztlich ist dieses halbe Jahr mit all den corona-bedingten Umständen eine Erfahrung, die mir keiner mehr nehmen kann.“
Vorstellbar erscheint eine Rückkehr in neuer Funktion. „Der Handball ist und bleibt ein fester Bestandteil in meinem Leben“, betont Knück. Während seiner Zeit in Remshalden betreute er nicht nur mit großer Freude eine Jugendmannschaft, sondern war aufgrund einer extremen Verletztenmisere sogar für ein Spiel als hauptverantwortlicher Oberliga-Trainer im Einsatz. Nur eine Begebenheit einer außergewöhnlichen Vita, die viel zu früh ihr Ende findet. Ob als Trainer, Betreuer oder Funktionär: Für die Zukunft ist nichts Ausgeschlossen. „Im Hintergrund mit dem Team zu arbeiten und nahe an den Spielern dran zu sein, das ist schon etwas Verlockendes“, so Knück: „Doch jetzt genieße ich es erstmal, ein bisschen Abstand zu gewinnen...“
(Text: Nico Schoch - Bilder: Jörg Frenze, Jens Körner (2), Nico Schoch (5), SV Remshalden)