„Ich halte es nicht für realistisch, dass wir in dieser Saison noch einmal Handball spielen“, macht sich Michael Hieber angesichts der Corona-Pandemie gar keine Illusionen. Der Abteilungsleiter und Oberliga-Interimscoach blickt mit Sorge auf die aktuelle Situation, sieht seinen TSB Gmünd aber gut für deren noch nicht absehbaren Folgen gerüstet. Wie und wann es sportlich weitergeht, darin besteht die große Herausforderung.
Wer sich dieser Tage mit Michael Hieber unterhält, der merkt, dass selbst für den handballerischen Tausendsassa des TSB der Sport derzeit ganz hinten anstehen muss. Obwohl die Gmünder als Tabellendrittletzter der BW-Oberliga rein sportlich wohl zu den Gewinnern eines vorzeitigen Saisonabbruchs zählen würde, geht der Blick des 42-Jährigen weit über den Tellerrand hinaus. Im Gespräch mit Nico Schoch blickt Hieber auf die aktuelle Krise mit ausgesetztem Spielbetrieb sowie Zukunftsperspektiven und spricht über grundsätzliche Werte, Entschleunigung und eine großzügige Geste seitens der Stadt Schwäbisch Gmünd.
Herr Hieber, wie geht es Ihnen aktuell, wie gehen Sie mit der Krisensituation um?
Für meinen persönlichen Stressfaktor ist es natürlich ein Segen, dass sozusagen alles von 180 auf 80 Prozent heruntergefahren ist, nur der Preis ist viel zu hoch. Ich sehe meine Kinder nun viel häufiger, das ist der einzig positive Effekt. In so einer noch nie dagewesenen Situation merkt man, in welche Zeit wir geboren wurden und welche Freiheiten wir in den vergangenen Jahrzehnten genießen durften. Wenn ich jetzt lese, dass man zu Ostern nicht einmal in ein anderes Bundesland reisen soll, sieht man wieder, welch ein hohes Gut diese Freiheit ist. Ich kritisiere das überhaupt nicht, all diese Einschränkungen sind völlig legitim. Aber wir werden alle ein bisschen geerdet und entschleunigt, was uns auch für die Zukunft nach Corona überlegen lassen sollte. Aber wie gesagt, so sehr wie die Pandemie alle Menschen in Beschlag nimmt, ist der Preis für diese Entschleunigung viel zu hoch.
Der Sport muss sich in dieser Phase selbstverständlich ganz hinten anstellen. Wie verbringt die Oberliga-Mannschaft des TSB ihre spielfreie Zeit?
Letztendlich kann und will ich niemanden kontrollieren. Man weiß aber von sich selber, man will körperlich etwas tun und fit bleiben. Deshalb bin ich mir sicher, dass meine Spieler viel Laufen gehen und auch zuhause ein Work-Out machen werden. Letztendlich passiert das aber selbstverständlich alles individuell und ist mit einem Mannschaftstraining nicht zu vergleichen.
Was bedeutet der sportliche Stillstand finanziell?
Wir spüren tatsächlich gravierende Einschnitte. Uns fehlen vier Heimspiele und jeder weiß, dass im Handball die Zuschauereinnahmen mit dazu beitragen, den Etat zu stemmen. Viel mehr sorgt uns noch, was mit unseren Sponsoren passiert, die jetzt ebenfalls große Probleme haben. Aber ich möchte an dieser Stelle ein ganz wichtiges Signal senden: In jedem Szenario werden wir als Abteilung Handball nicht an dieser Krise kaputt gehen und weiterhin in der Lage sein, den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten – wenn auch vielleicht mit der ein oder anderen Einschneidung.
Was macht Ihnen trotz allem Mut?
Unsere Zuschauer-Minuseinnahmen treffen uns hart, doch da hat die Stadt Schwäbisch Gmünd bereits reagiert. Der Sportlerfonds wurde um das Doppelte aufgestockt, um die Vereine zu unterstützen. Das ist eine große Geste unserer Spitzensportler aus Gmünd, davor habe ich den allergrößten Respekt und möchte auch der Stadt, die das bewerkstelligt, einen großen Dank aussprechen. Mein ganz besonderes Augenmerk liegt auf der Jugend. Um unserem Nachwuchs weiterhin eine optimale Plattform zu bieten und um sich mit guten Trainer zu entwickeln, müssen wir in der Zukunft wieder investieren. Doch wir sind solide aufgestellt und können das stemmen.
Einige Landesverbände sind bereits der Empfehlung des DHB gefolgt, die Saison unterhalb der 3.Liga abzubrechen. Wie lautet Ihre Prognose: Wird auch der HVW darauf eingehen?
Zunächst einmal gilt all den Ehrenamtlichen auf Verbandsebene, die sich dieser riesigen Verantwortung stellen und die Situation managen, ein großes Kompliment. Ich halte es tatsächlich für nicht realistisch, dass wir diese Saison noch spielen. Wir haben noch sieben Spiele. Es ist fast unmöglich, dass noch durchzuführen.
Vor allem weil die Saison laut DHB – anders als im Fußball – auf jeden Fall bis zum 30.Juni beendet sein muss...
Das Problem liegt ja darin, dass wir nicht einfach wieder Ende April anfangen können zu spielen. Zwei Wochen Vorbereitung braucht es auf jeden Fall. Dennoch: Egal wie auch entschieden wird, wir nehmen die Fakten dann so wie sie sind. Wenn die Saison nach der aktuellen Tabelle gewertet werden und wir absteigen sollten, würden wir das widerspruchslos akzeptieren.
Aktuell geht das Szenario allerdings dahin, dass es bei einem Saisonabbruch nur Auf- und keine Absteiger geben wird. Bedeutet für den TSB: Klassenerhalt am Grünen Tisch.
Natürlich würden wir das dann mitnehmen. Wobei für uns immer noch eine realistische Chance auf den sportlichen Klassenerhalt dagewesen ist. Das möchte ich aber gar nicht zu weit ausschmücken. Wenn die aktuelle Tabelle gewertet wird, wird es vor allem bei den Aufstiegsplätzen Verlierer geben. So oder so wird es nie eine ganz faire Lösung geben. Wir würden uns auf gar keinen Fall verschlechtern und rein sportlich zu den Gewinnern zählen, ganz klar. Nichtsdestotrotz müssen wir auch für die neue Saison planen. Wir haben bereits eine schlagkräftige Mannschaft zusammen und werden dazu in den nächsten Wochen mehr verkünden. Aktuell wäre das nicht passend.
Die Große Sporthalle wird ab diesem Monat als Corona-Notfallzentrum genutzt und somit für unbestimmte Zeit nicht als TSB-Heimspielstätte zur Verfügung stehen. Wie sehr erschwert das die Planungen?
Unheimlich sogar. Wir wissen nicht, wie lange das Krankenzentrum dort bleibt. Auch da hat die Stadt ein riesiges Brett zu bohren. Besonders im Bereich der Jugendarbeit bereitet mir das große Sorgen. Wir müssen alles daran setzen, dass unsere sieben oder bald vielleicht sogar acht Jugendmannschaften wieder zu einem geregelten Trainingsbetrieb finden.
Ist für den Handballsport schon Licht am Ende des Tunnels zu sehen?
Noch nie haben wir eine solch große Krise erlebt. Der erste Schritt muss es sein, diese gemeinsam zu bewältigen. Sich um den sportlichen Bereich zu kümmern, wieder einen ordentlichen Trainings- und Spielbetrieb herzustellen, wird dann der zweite Schritt sein. Die Frage lautet ja grundsätzlich: Wann können wir überhaupt wieder Handball spielen? Wir reden gerade immer noch über die aktuelle Saison. Dabei ist es noch überhaupt nicht sicher, dass im September überhaupt die neue Saison angefangen wird. Denken wir noch weiter, es gibt keine Absteiger, dann werden die meisten Ligen mit 18 oder 20 Mannschaften dastehen. So wird es organisatorisch richtig knifflig. Je später die Saison beginnt, wie will man dann über 30 Spieltage absolvieren? Doch über all das können wir aktuell nur spekulieren.
Was macht Sie so optimistisch, dass der TSB diese Krise unbeschadet überstehen wird?
Ganz einfach weil wir die Grundlage dafür in den vergangenen Jahren gelegt haben. Die Abteilung ist gesund, das kommt uns jetzt zugute. Genau das ist auch mein Anspruch als Abteilungsleiter und das schon seit 20 Jahren, in denen ich verschiedene Positionen beim TSB ausgefüllt habe. Egal was passiert, wir werden in der kommenden Saison Handball spielen. Das ist die wichtigste Botschaft, die ich herausgeben kann.
Das Interview führte Nico Schoch.